100 Jahre Ellenfeldstadion |
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Vom - Borussia-Sportplatz - zum Erinnerungsort. |
2. Teil |
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Bericht von Tobias Fuchs |
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Einen Eindruck von den damaligen Verhältnissen vermittelt die
Berichterstattung über das größte Spiel, das in den zwanziger Jahren im
Ellenfeld-Stadion stattfindet. Am 9. März 1924 trifft Borussia im Kampf
um die Süddeutsche Meisterschaft vor 12.000 Zuschauern auf die SpVgg
Fürth. Das Fachblatt „Fußball“ druckt im Anschluss an diese Begegnung
zwei lange Reportagen aus Neunkirchen ab. Die Texte erscheinen unter
Pseudonym.
In einer der Reportagen, überschrieben mit „Wie ich
es sah“, heißt es: „Neunkirchen. Bucklige Straßen. Rauchgeschwärzte
Häuser. Sogar den Menschen, die dieses Fleckchen Erde bewohnen, drückt
die Industrie, die Arbeit in Grube und Hütte, ihren typischen Stempel
auf. Und wie an Arbeitstagen unübersehbare Massen Werktätiger vom Werk
sich bahnwärts schlängeln, so strömen heute am Sonntag endlose Reihen
stadt- und bergwärts. Der Borussiaplatz auf luftiger Höhe ist ihr Ziel.“
Die zweite Reportage beginnt im Zentrum von Neunkirchen, am
Hotel Halberg, unweit des heutigen Corona-Hochhauses: „Typen von den
Bergmannsdörfern der Umgegend strebten mit langen Schritten, die einen
stundenlangen Marsch kennzeichnen, dem Hüttenberg zu. Dann war auf
einmal die ganze Brücke voll von einem dichten Menschenschwarm, der auf
einen zukam: Ein Zug war angekommen. „Hoscht doi Kaart schun?“ Aha,
Pfälzer. Ein radelnder Bekannter bremste vor mir, er kam von oben. „Es
sind schon mindestens 3000 Leute auf dem Platz und futtern Worschtwerk.“
[sic!] Da wurde es Zeit für mich, denn ich hatte noch nicht gegessen. ¾
Stunde vor Spielbeginn kam ich auf den obern Markt und stieß auf die
große Heerstraße. Ein gewaltiger Magnet schien alles, was auf dem
Pflaster war, Fußgänger, Radler, Autos, Straßenbahnen zwischen den
Häusermauern durch unentrinnbar in Eiltempo nach der Scheib zu ziehen.
Dort standen bereits in allen Straßen endlose Reihen von Autos, sogar
Lastwagen, die von 25–30 Gästen in cumulo gemietet waren, und immer noch
knatterten neue Fahrzeuge durch die Hohl heran. Einer hat sie gezählt:
es waren 106 Motorwagen. Am Platztor natürlich mörderisches Gedränge
[…]. Plötzlich wurde ich emporgehoben, 4 m weiter getragen, 2mal um
meine Achse gedreht und einem halbtoten Kartenkontrolleur gegen den
Bauch geschleudert. […] Ich blickte rundum. Die hochaufsteigenden
Terrassen verschwanden unter 10 000 Menschenleibern. Regungslos standen
die dunkeln Menschenmauern da und wie in Menschenleibern verwurzelt
ragten die Pfeiler der großen Tribüne hinauf in das Dunkel des mächtigen
Daches.“
Am 16. Dezember 1928 schildert die „Saarbrücker
Zeitung“ in blumigen Worten ein zweifelhaftes Spektakel auf dem
„Borussia-Sportplatz“. „Den Bewohnern des oberen, westlichen Stadtteiles
bot sich heute Morgen ein schaurig schönes Feuerwerk dar. Die etwa 100
Meter lange Tribüne mit Umkleiden der Gesellschaft „Borussia“ auf dem
Borussia-Sportplatz in dem Ellenfeld ging gegen halb 8 Uhr plötzlich in
Flammen auf. Von einer kleinen Flamme in der Mitte des Holzbaues wurde
der ganze Bau im Augenblick vom Feuer erfasst. In weitem Umkreis wurde
der frisch gefallene Schnee purpurrot erleuchtet.“
Nach der
Feuersbrunst tritt die Tribünengesellschaft wieder auf den Plan. Sie
errichtet eine neue Tribüne mit 700 Sitzplätzen, angeblich, weil die
Brandversicherung an einen Neubau geknüpft ist. Die Tribüne ist ein
Massivbau, der neben Umkleiden und Geschäftsräumen auch das
„Borussia-Heim“ beherbergt. Die Baukosten übersteigen bei weitem die vom
Versicherer Gerling ausgezahlte Entschädigungssumme und können über
Eintrittsgelder nicht refinanziert werden. Schließlich überträgt die
Tribünengesellschaft ihr Bauwerk an die Borussia – inklusive einer
Schuldenlast von 270.000 Francs.
Im Frühjahr 1932 steht Borussia
Neunkirchen vor dem Bankrott. Es ist der jüdische Kaufmann Alfons
Herzberger, der dem Klub einen Vergleich mit seinen Gläubigern
ermöglicht. Herzberger besitzt in Neunkirchen das Kaufhaus Joseph Levy
Wwe., das nach der Rückgliederung des Saargebiets an das Deutsche Reich
im März 1935 „arisiert“ wird, während Herzberger flüchten muss.
1952
1952
veröffentlicht Borussia Neunkirchen eine Denkschrift mit dem Titel
„Ellenfeld-Stadion – Aufbau, Ausbau, Neues Leben“. Sie markiert den
Beginn eines über ein Jahrzehnt andauernden Ausbaus des früheren
„Borussia-Sportplatzes“ zum Stadion für die Bundesliga. Auf dem
Titelblatt der Denkschrift ist eine Zeichnung von Albrecht Menzel zu
sehen. Sie zeigt das Ellenfeld-Stadion mit einer am Hang zur
Schloss-Brauerei hin aufsteigenden Tribüne für 9.000 Zuschauer. Die
Zeichnung folgt Entwürfen des Neunkircher Architekten Felix Schaan.
Schaan,
nach dessen Plänen unter anderem das Corona-Hochhaus in Neunkirchen
erbaut worden ist, wird Anfang 1952 von der Borussia kontaktiert. Der
Architekt hat einen Bezug zum Verein. Sein Bruder Josef hat in den
zwanziger Jahren in der ersten Mannschaft der Borussia gespielt, er
selbst ist Vereinsmitglied. Borussia bittet Schaan, schnellstens Pläne
für einen Ausbau der Spielstätte zu erarbeiten. Denn am 20. April 1952
soll in Neunkirchen ein Fußball-Länderspiel zwischen dem Saarland und
Frankreich B stattfinden.
Das Saarland beschreitet in der
Nachkriegszeit einen politischen Sonderweg. Seit 1947 existiert ein von
Deutschland unabhängiger Saarstaat mit Bindung an Frankreich.
International tritt das Saarland mit Beginn der fünfziger Jahre vor
allem im Sport in Erscheinung. Höhepunkte sind die Teilnahme an den
Olympischen Spielen in Helsinki und die Qualifikationsrunde für die
Fußball-WM 1954, in der das Saarland auf Deutschland trifft. Um als
Sportnation erfolgreich sein zu können, muss das Saarland in
Sportstätten investieren. Im Dezember 1949 wirbt Kultusminister Emil
Strauss bei seinen Ministerkollegen darum, den 1. FC Saarbrücken beim
Bau des Ludwigspark-Stadions zu unterstützen. Das Saarland benötige eine
nach den international gültigen Regeln erbaute sportliche Kampfstätte,
argumentiert Straus. 1952 übernimmt das Land die Finanzierung des
Ludwigsparks komplett, auch der Kieselhumes in Saarbrücken wird mit
öffentlichen Mitteln erweitert. Da will die Borussia nicht im Abseits
stehen. Mit der Vergabe eines Länderspiels nach Neunkirchen erhält der
Verein die erhoffte Vorlage.
Über die Stadt Neunkirchen
beantragt die Borussia am 27. Februar 1952 für den Ausbau des
Ellenfeld-Stadions einen Zuschuss in Höhe von 44 Millionen Francs. Zur
Begründung heißt es: „Da wir als die zweitgrößte saarländische Stadt und
auf Grund der Tatsache, dass Neunkirchen als eine Fußballstadt bekannt
ist, neben größeren Vereinswettspielen auch Anspruch darauf erheben
können, dass Neunkirchen in der Zukunft mit der Durchführung von
Länderspielen berücksichtigt wird, ist es notwendig, dass unser
Spielfeld in seinen Ausmaßen den internationalen Bestimmungen entspricht
und das Fassungsvermögen auf die Möglichkeit der Unterbringung von
25.000 bis 30.000 Zuschauer erweitert wird.“
Das Ellenfeld-Stadion
ist im Februar 1952 noch immer ein beschauliches Erdstadion mit 14.000
Zuschauerplätzen. Im Auftrag des Vereins erarbeitet der Architekt Schaan
Pläne, bei deren Umsetzung sich das Fassungsvermögen des Stadions
verdoppeln würde. Aber die ehrgeizigen Pläne werden niemals realisiert.
Auch das Länderspiel findet nicht in Neunkirchen statt. Dafür werden
neue Stehränge entlang des Spielfeldes aufgeschüttet und befestigt.
Darüber hinaus ist es das Vorhaben, am Übergang zum Heusnersweiher eine
Sporthalle zu errichten, das die Bemühungen um eine Erweiterung des
Ellenfeld-Stadions in den folgen-den Jahren bestimmt.
Über
Jahrzehnte ist das Stadion in Richtung Stadt durch eine Reihe von
Trauerweiden begrenzt worden. Nun will die Borussia mit dem Stadion
einen städtebaulichen Akzent setzen. Bereits am 23. Februar 1952 legt
Architekt Schaan einen Teilbebauungsplan für den wüsten Heusnersweiher
vor dem Ellenfeld-Stadion vor. Dem Bebauungsplan zufolge soll die
Sporthalle zur Dominante eines Stadtplatzes mit weitläufiger Grünfläche
und flankierender Wohnbebauung werden. Erst ein Jahr später stimmt der
Bauausschuss der Stadt dafür, auf dem Heusnerweiher ein Stadtbad zu
errichten.
Im ersten Entwurf der Sporthalle zeichnet Schaan einen
quaderförmigen Baukörper, den er an der Längsseite mit einem Laubengang,
langen Sprossenfenstern und einem Walmdach versieht. In der Mitte des
Baus befindet sich der ebenerdige Haupteingang des Stadions, über dem
Schaan als Vordach einen Balkon platziert. Eine große Uhr an der linken
Fassade verdeutlicht den Anspruch, das Ellenfeld-Stadion zum Fixpunkt
der Bebauung des Heusnersweihers zu machen.
Obwohl es zwischen dem
Architekten und der Borussia zu Auseinandersetzungen um die Zahlung des
Honorars kommt, entwickelt sich eine Jahre währende Zusammenarbeit.
Schaan überarbeitet die Entwürfe für die Halle immer wieder grundlegend.
Im Dezember 1954 zeichnet der Architekt ein Schaubild, auf dem kein
biederes Walmdach mehr zu finden ist. Vielmehr schließt Schaan mit dem
Neuentwurf der Sporthalle an das Neue Bauen der Nachkriegsmoderne an.
Der
Architekt öffnet den Hallenbau zum Innenraum des Stadions durch eine
Glasfassade und versieht ihn mit einem geschwungenen Dach. Vermutlich
will Schaan mit der Sporthalle in Korrespondenz treten mit der
spektakulären Architektur des Neunkircher Stadtbades. In der zweiten
Hälfte der fünfziger Jahre rückt Schaans Hallenentwurf in den
Mittelpunkt der Außendarstellung des Vereins. Er ziert das Titelblatt
der Festschrift zum 50-jährigen Vereinsjubiläum, der Vereinsnachrichten
und ist sogar auf einem Ölgemälde zu sehen. Auf dem Titel der
Vereinspublikationen steht die Sporthalle für das gesamte
Ellenfeld-Stadion, das in einer Neunkircher Dreieinigkeit mit
Schloss-Brauerei und Neunkircher Eisenwerk gezeigt wird. Doch der
prominente Hallenentwurf wird niemals realisiert.
Nach Abschluss des
ersten Bauabschnittes, der die Ränge und Räumlichkeiten unter der
geplanten Sporthalle umfasst, fehlt es über Jahre an einer Finanzierung
für den eigentlichen Hallenbau. Noch im Februar 1958 lehnt die
Sportplanungskommission einen Bauzuschuss ab. So wird erst der dritte
Entwurf von Architekt Schaan in die Tat umgesetzt. Neben der
öffentlichen Hand beteiligt sich das Neunkircher Eisenwerk an der
Baufinanzierung.
Am 13. November 1960 weiht Borussia Neunkirchen
die Sporthalle ein. Sie gilt als „Krönung des Ellenfeld-Stadions“ und
avanciert sogar zum Postkartenmotiv. Der Ausbau des Stadions ist aber
längst nicht abgeschlossen. Borussia entwickelt sich in dieser Zeit zu
einer Spitzenmannschaft und nimmt bis 1963 in jedem Jahr an der Endrunde
um die Deutsche Meisterschaft teil. Weil das Ellenfeld-Stadion zu klein
ist, muss der Klub regelmäßig nach Saarbrücken ausweichen. Deshalb
werden im Hintergrund wiederholt Pläne für eine Erweiterung geschmiedet,
aber vorerst nicht umgesetzt.
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Mehr zu dem Thema bietet
der umfangreiche Text-Bildband von Tobias Fuchs und Jens Kelm: „100
Jahre Ellenfeld-Stadion – Vom Borussia-Sportplatz zum Erinnerungsort“,
der im Buchhandel für 24,90 € erhältlich ist, ISBN 978-3-938381-59-5.
Die übrigen Fotos stammen aus dem Vereinsarchiv Borussia Neunkirchen |
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Ellenfeld-Ehrenmal ca. 1930 – Quelle: as 58-3 |
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Eintracht Frankfurt 1938 im Ellenfeld |
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Kap 3 - 1952 - Titelblatt
Aufbau - Ausbau - Neues Leben |
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Spielszene in der 1. Bundesliga |
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