Das Jahr 1945 in Neunkirchen | ||||
Ein Bericht von Heinz Gillenberg – 2. Teil – | ||||
Nur eine Woche nach der Besetzung, am 28. März 1945, begannen die Ingenieuroffiziere der „US Strategie Bombing Survey“ in Neunkirchen ihre Arbeit. Aus ihrem später erstellten Bericht stammen Zahlen zu den Ergebnissen der Bombenangriffe auf Neunkirchen. Durch den Vergleich der Angriffsnotizen mit den aufgetretenen Schäden wurde die Effektivität der Angriffe auf die Hütte untersucht. Für die deutschen Gesprächspartner war diese Untersuchung eine schreckliche Erfahrung. Nüchtern und sachlich wurde hier jeder von Tod und Not begleitete Fliederangriff auf seinen Erfolg im Verhältnis zum Aufwand untersucht. Manchem wurde dabei erst jetzt klar, wie unmenschlich der Krieg in Wirklichkeit war und ist.
Auch die städtische Verwaltung wurde von den Besatzungstruppen neu geordnet. Der frühere Bürgermeister Dr. Blank, also der letzte gewählte Bürgermeister, wurde am 2. April zum Leiter der Stadtverwaltung bestimmt. Die Stadt bot einen trostlosen Anblick, wie trostlos können wir heute in Zahlen belegen: 78,4 % der Gebäude waren ganz oder teilweise zerstört, nur 21,6 % waren in ihrer Bausubstanz unbeschädigt, wenn man Glas- und leichte Dachschäden nicht berücksichtigt. In weiten Bereichen gab es keine Energieversorgung, weder Wasser noch Strom noch Gas. Reserven an Lebensmitteln waren nicht vorhanden. Auf eine Umfrage bei den vorhandenen Betrieben antwortete die Werksleitung der Hütte:“......wir sind bemüht, als Treuhänder der Belegschaft die noch brauchbaren Werksteile möglichst bald wieder in Gang zu bringen, insbesondere Kraftwerk und Kokerei, wovon mittelbar auch die Stadt durch Strom- und Gaslieferungen Vorteil hätte.“ Auf diese Versicherung ging der am 13. April ernannte neue Stadtkommandant, Oberst Ahlstrom, sofort ein und forderte die sofortige Inbetriebnahme der Thomasmehlerzeugung. Alle Betriebe hatten Probleme Geld flüssig zu machen. Das traf besonders für die Hütte zu, deren Aktienbesitzer und Bankverbindungen auf der anderen Rheinseite nicht erreichbar waren. Deswegen machte die Bezahlung der noch im Werk Beschäftigten große Schwierig-keiten. Für die Angestellten wurde deswegen die Kürzung aller Grundgehälter über 150 Mark beschlossen. Mehr als 300 Mark verdiente ab 17. April 1945 niemand mehr auf der Hütte. Dr. Blank blieb nur bis zum 10. Mai Bürgermeister. An diesem Tag wurde er vom Stadtkommandanten entlassen und durch den Obersteiger der Grube König Knobloch ersetzt. Ein Auszug aus dem Protokoll der ersten Besprechung des Herrn Knobloch mit der Werksleitung der Hütte zeigt, wie man damals die Chancen für einen Wiederaufbau einschätzte, wahrscheinlich einschätzen mußte:“ Bürgermeister Knobloch zeigte auch deshalb besonderes Interesse für die Zukunft des Werkes, weil die Förderung auf Grube König davon mittelbar beeinflußt wird. Es wäre im Bereich der Grube noch ein Kohlvorkommen von etwa 57 Millionen Tonnen, aber der Abbau werde beeinträchtigt durch Sicherheitspfeiler, die unter dem Stadtgebiet, teils unter dem Hüttengelände und teils unter der Reichsbahn stehen bleiben müßten. Vom Hüttengelände komme hauptsächlich das Gebiet des Hochofens in Frage. Das in Frage kommende Stadtgebiet östlich der Förderanlage sei zum großen Teil durch Luftangriffe zerstört und werde wohl nicht mehr aufgebaut. Hier handele es sich um 50 Millionen Tonnen Kohle“. Vorerst war an Wiederaufbau noch nicht zu denken. Langsam begannen die ersten Aufräumarbeiten, beschädigte Wohnungen wurde notdürftig hergerichtet, noch Verwendbares aus Trümmern gerettet. Mit dem fortschreitenden Frühjahr begann die Bevölkerung auch mit der Vorbereitung zur Kultivierung aller nur denkbaren Grundstücke, um sich eine Ernährungs-grundlage zu schaffen. Erst am 28. Mai 1945 gab es wieder Lebensmittelzuteilungen, aber diese Zuteilungen waren vollkommen ungenügend und sollten für die nächsten Jahre kaum besser werden. Die Besatzungsmächte betrieben die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen und die Neuordnung der deutschen Länder. Ab 10. Juli 1945 wurde das Saarland von französischen Truppen besetzt und kam damit zur französischen Besatzungszone. Gleichzeitig wurde eine saarländische Zivilverwaltung ins Leben gerufen und etwa ab September die Verwaltung des Saarlandes vor der der übrigen französischen Besatzungszone abgetrennt. Das Regierungspräsidium Saar wurde Dr. Neureuter übertragen. Zum Militärgouverneur wurde Oberst Gilbert Grandval ernannt. Der neue Chef der französischen Besatzungsbehörde hatte den Auftrag, „eine Sonderregelung für die Saar möglichst im Einvernehmen mit der Bevölkerung zu erreichen“. Mühsamer Neubeginn In den ersten Monaten nach Kriegsende fehlte einfach alles, und das nicht nur im besiegten Deutschland. Dabei war der in ganz Europa herrschende Energiemangel das größte Hindernis für den Wiederaufbau. Kein Wunder, dass den Alliierten die Inbetriebnahme der Gruben in den besetzten Gebieten besonders wichtig war. Die notwendige Vergrößerung der Grubenbelegschaften wurde nicht nur durch Anwerbung von Arbeitern aus dem gesamten Saarland und der Pfalz, sondern auch durch die Entlassung von Kriegsgefangenen, die sich zur Arbeit in den Bergwerken verpflichteten, erreicht. Für die Bergleute gab es Sonderverpflegungen und die Bergarbeiterzüge waren die ersten Verkehrsverbindungen, die auch Deutschen zur Verfügung standen. Ohne die Arbeit der Bergleute wäre aber kein Wiederaufbau möglich gewesen. Als erstes Saarunternehmen kamen die Saarbergwerke am 3. Januar 1946 als Régie des Mines de la Sarre unter französische Verwaltung. Nun wurde auch das Kraftwerk der Hütte zur Verbesserung der Stromversorgung, zuerst der Gruben, wieder in Betrieb genommen. Die nötige Kohle wurde von der Militärregierung zugeteilt und es mußte über jede verbrauchte Tonne wöchentlich Rechenschaft gegeben werden. Nach und nach wurde Strom auch für den Bedarf der Zivilbevölkerung freigegeben. Für die Bevölkerung wichtig waren die „Hamsterfahrten“ bei denen mit Tauschartikeln in ländlichen Gegenden Lebensmittel beschafft wurden. Die Lebensmitelzuteilungen waren mit 900 kcal täglich vollkommen unzureichend. Zum besseren Verständnis sei die tägliche Lebensmittelration während dieser Zeit aufgeführt. Sie bestand aus: 250 Gramm Brot, 16 Gramm Zucker, 10 Gramm Fest, 18 Gramm Fleisch, 350 Gramm Kartoffeln, 12 Gramm Teigwaren, 4 Gramm Käse. Dazu kamen als Genußmittel: 4 Gramm Kaffeeersatz und 4 Zigaretten und das für Normalverbraucher, die eine Arbeitsbescheinigung vorlegen mußten. Auch die Verbesserung der Energieversorgung für die Bevölkerung blieb im Winter 1945/46 noch unzureichend. Stromsperren waren häufig, Gas stand nicht zur Verfügung. Um nicht zu frieren blieb Nichtbergleuten und ihren Angehörigen der Weg zur Bergehalde zum „Kohleraffen“, denn Kohle war ja auch ein begehrter Tauschartikel in den Dörfern des Hunsrücks und der Pfalz. |
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Heinz Gillenberg
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– Ende –
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