Das Jahr 1945 in Neunkirchen | ||||
Ein Bericht von Heinz Gillenberg – 1. Teil – | ||||
Das Frühjahr 1945 Das Jahr 1945 begann wie 1944 endete. Jeder Tag brachte neue Schäden durch Bombenabwürfe und Bordwaffenbeschuß. In erhaltenen Schadensberichten kann man nachlesen:“ Angriff von 3 Jagdbombern“ oder „Schäden durch Bombenangriff von 20 Flugzeugen“. Genau wurde aufgeführt wo die Schäden entstanden und genau so nüchtern wurden die Verluste der Zivilbevölkerung aufgezählt. Gleichzeitig wurde die Versorgungslage immer schwieriger und die Einbußen an Wohnraum konnten nicht mehr so schnell durch die „Einweisung in freien Wohnraum“ ausgeglichen werden. „frei“, das heißt wegen Evakuierung geräumt, wurden nur noch wenige Wohnungen. Trotz aller Angst und der ständigen Bedrohung, trotz aller Einschränkungen und immer neuer Schäden hielt die Bevölkerung lieber in der ihr bekannten Umgebung aus. Wie unsicher das Leben in ganz Deutschland geworden war, konnte man schon durch ein aufmerksames Lesen des amtlichen „Wehrmachtsberichts“ erfahren. Gerüchte und die bei der Wehrmacht umlaufenden „Latrinenparolen“ kamen zudem der schrecklichen Wahrheit noch näher. So blieb „Zusammenrücken“ die einzige Lösung und das entsprach in diesen schweren Wochen auch dem Bedürfnis der bedrängten Menschen. An der nahen Front im Westen, bei Forbach und Saargemünd, kam es ab Anfang Februar immer wieder zu schweren Kämpfen. Die „starke Artillerievorbereitung der Angriffe der 15. amerikanischen Armee“ brachte bis nach Neunkirchen die Luft zum Dröhnen, und als „im Abschnitt Forbach Bereitstellungen des Gegners durch unsere Artillerie wirksam bekämpft“ wurden war das einige Tage später nicht anders. Bis März änderte sich in diesem Bereich die Frontlinie nur unwesentlich. Bald konnte man aber dem Wehrmachtsbericht entnehmen, dass bei Trier, um Koblenz und im Rhein-Mosel-Dreieck gekämpft wurde. Das Ende kam also näher, die eigentliche Front, die Hauptmacht der Angriffstruppen hatte die Saargegend umgangen. Donnerstag der 15. März war ein schöner klarer Frühlingstag. Vor den Bunkern wurde über die Beobachtungen der letzten Nacht diskutiert. Homburg und Zweibrücken waren das Ziel von Luftangriffen gewesen. Im Tagebuch von Josef Goebbels kann man heute nachlesen, dass in dieser Nacht etwa 350 viermotorige Bomber eines britischen Kampfverbandes diese beiden Städte angegriffen hatte. Die Explosionen der Bomben und der Feuerschein der Brände waren in Neunkirchen deutlich wahrgenommen worden. „Heute kommen wir dran“ war zu hören; aber das hörte man fast jeden Morgen. Bis zum Mittag war alles wie an allen Tagen der letzten Wochen. Schon in aller Frühe Vollalarm, Fluglärm und Abwehrfeuer, gegen Mittag wurde es ruhiger – die Ruhe vor dem Sturm – wie wir heute wissen. Gegen 13 Uhr begann dann der Luftangriff, der insgesamt etwa 1 Stunden dauerte. In kurzem zeitlichem Abstand warfen immer mehr Bomber zusammen ihre zerstörende Ladung ab. Jedermann nannte das damals eine Welle. Wieviele Wellen Neunkirchen in den Mittagsstunden dieses 15. März 1945 über sich ergehen lassen mußte, hat wohl niemand mitgezählt. Die es erlebten, erinnern sich heute noch an den Wechsel von ohrenbetäubenden Detonationen der Sprengbomben und dem Pras-seln der Brandbomben. Mit einer Unmenge von Brandbomben endete der Angriff und hinterließ eine weitgehend zerstörte brennende Stadt. Wer aus dem schützenden Stollen ans Tageslicht kam, fand nicht mehr den strahlenden Frühlingstag des Vormittags. Die Rauchschwaden der schnell um sich greifenden Brände verdunkelten das Tageslicht. Viele Straßen waren nicht mehr begehbar, versperrt durch die Trümmer der Häuser oder die Flammenwand der Brände. So konnte mancher nicht mehr zu seiner Wohnung vordringen und die Suche nach zurückgebliebenen Angehörigen schien zuerst einmal aussichtslos. Die kommende Nacht verbrachten viele Menschen in einem der Bunker, nur in den Außenbezirken gab es auch noch Unterschlupf bei Bekannten und Verwandten. Bis zum Abend breiteten sich die Brände immer weiter aus, die Löscharbeiten mußten sich auf die wichtigsten Schwerpunkte beschränken, zum Beispiel auf das Hütten- und das Josefskrankenhaus bei denen die Obergeschosse ausbrannten, die Stockwerke darunter aber, wenn auch stark beschädigt, gerettet werden konnten Es dauerte einige Tage, bis alle Brandherde erloschen waren. In den kommenden Tagen verließen die letzten Flüchtlinge die Stadt. Aber auch zum Volkssturm kommandierte Jugendliche und Männer erhielten Marschbefehl zum Rhein, um dort die „Heimatfront“ zu verstärken, ein Unsinn, den noch mancher mit dem Leben bezahlen mußte. Kriegsende Nach einer kurzen Beschießung durch die amerikanische Artillerie am Sonntag den 18. März wurde Neunkirchen am 21. März 1945 besetzt und damit für unseren Raum die Kampfhandlungen beendet. Ab 9 Uhr begann an diesem Morgen der kampflose Einzug der amerikanischen Truppen. Schon am 18. März hatten die bisherigen Verwaltungs- und Parteispitzen die Stadt verlassen. Erste Verbindung mit den Besatzungstruppen nahm deshalb die Werksleitung der Hütte auf, die einen Herrn, der kein Parteimitglied war und außerdem englisch sprach, dazu beauftragte. Auf der Scheib traf dieser nach mehreren Rückfragen den Kommandeur der Einheit, die die Stadt besetzt hatte. Der von den Herren als General oder Brigadier angesehene Offizier empfahl, auf die sicher bald zu erwartenden militärischen Verwaltungsbeauftragten zu warten. Er stellte für den Werks-Pkw Saar-17717 eine Fahrerlaubnis aus, die aber nur für die Dauer der Besetzung durch seine Einheit Gültigkeit hatte. Der Stab dieser Einheit beschlagnahmte in der Stadtmitte das noch erhaltene Haus Stummstraße 2 und das Bürohaus Stummstraße 4. Nur einige Stunden waren die Häuser belegt, am späten Abend schon zog diese Einheit weiter nach Osten. Am Nachmittag rückte die für Neunkirchen zuständige Abteilung der Militärverwaltung in der Brunnenstraße ein und beschlagnahmte hier alle Häuser. Der erste Chef dieser Abteilung, ein Major Gadling, übernahm sofort die Verwaltung der Stadt und betrieb zuerst die Aufstellung einer Hilfspolizei. Diese ersten Tage der Besetzung waren voller Unsicherheiten. Schon am 23. März war für Neunkirchen ein anderer Offizier, ein Oberst Guild, zuständig. Auch dieser zog am nächsten Tag weiter und wurde durch einen Kapitän Gipp ersetzt. Dadurch war es kaum möglich, die Forderungen nach Listen über Zerstörungen der Versorgungs- und Werksanlagen, die an die Verwaltung und die zuständigen Werksleitungen gestellt wurden, zu erfüllen. Bis zur Fertigstellung einer Liste war schon ein anderer Offizier zuständig, der dann wieder ganz andere Fragen stellte. Ein Probelm für die Verwaltung, die Bewohner der Stadt, aber auch für die Besatzungsbehörden wurden bald die Plünderungen durch die freigelassenen Gefangenen und die wilden Beschlagnahmungen durch die durchziehenden amerikanischen und französischen Truppen. Der am 26. März 1945 beauftragte Sicherheitsoffizier der amerikansichen Behörden, ein Oberleutnant Mac Namara, ging sofort gegen diese Mißtände vor. Für gefährdete Werksanlagen und Gebäude ließ er den Zugang für alle alliierten Soldaten verbieten und ging energisch gegen Übertretungen vor. Bei allem Verständnis für die Lage der ehemaligen Gefangenen mußte er versuchen, die sowieso fast aussichtslose Versorgungslage vor den Eingriffen durch Plünderer zu schützen. Um die gezielte Versorgung für die „displaced persons“ aller Nationen zu ermöglichen, wurden diese in Lagern in Lebach und Birkenfeld zusammengeführt, wobei gleichszeitig die Plünderungen verhindert werden sollten. Für die sich im Raum Neunkirchen aufhaltenden ehemaligen Gefangenen veranlaßte der neue Sicherheitsoffizier die Umsiedlung in diese Lager, für die zuvor Befreiten sicher ein harter Eingriff in die gerade wiedergewonnene Freiheit. | ||||
– Ende Teil 1 – |