Der Abstimmungskampf 1955 |
und die Rolle der Polizei in Neunkirchen |
von Armin Schlicker -Teil 1 |
Geschichtlicher Hintergrund Die franz. Saarpolitik als Teilgebiet der franz. Rheinpolitik ist ein oft behandeltes Thema, das nicht selten lebhafte Emotionen hervorruft. Um aber das heutige Thema, den Abstimmungskampf vor der Volksbefragung 1955, zu behandeln, ist ein kurzer geschichtlicher Rückblick unerlässlich. Wir wissen, dass das Reich Karls des Großen das Gebiet des heutigen Frankreich, der Niederlande, Belgiens, Norditaliens, Tschechiens, Österreichs und des größten Teils Deutschlands umfasste. Nach dem Tode seines Sohnes Ludwig der Fromme wurde das Reich im Vertrag von Verdun (843) unter seinen Enkeln Karl der Kahle (Westreich), Lothar I. (Mittelreich) und Ludwig der Deutsche (Ostreich) aufgeteilt. Nach dem Tod Lothars II. fiel im Vertrag von Mersen (870) die Osthälfte des Mittelreiches (Lothringen) an Ludwig den Deutschen und nach dem Vertrag von Ribemont (880) auch die Westhälfte. Die Westgrenze Lothringens, die nunmehr auch die Grenze des ostfränkischen Reiches war, blieb von geringen Veränderungen abgesehen das ganze Mittelalter hindurch die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich (1). Diese Grenze lag westlich der Maas, so dass Städte wie Verdun (Wirtten) und Toul (Tull) zum ostfränkischen (deutschen) Reich gehörten. Entlang dieser Grenze verlief im Mittelalter auch die deutsch-französische Sprachgrenze. Diese Grenze war allerdings keine durch die Bodengestaltung (Gebirge oder großer Fluss) sich von selbst ergebende Grenze. Zum Schutz des Pariser Beckens war ein solch natürliches Bollwerk für Frankreich jedoch erstrebenswert. Seit dem frühen Mittelalter war Frankreich daher bemüht, seine Ostgrenze an den Rhein zu schieben. Von diesen Bestrebungen war unsere Heimat durch mehrfache Besetzungen unmittelbar betroffen. ![]() Das französische Vordringen nach Osten begann im 17. Jahrhundert, insbesondere nach dem 30-jährigen Krieg. Im Westfälischen Frieden (1648) erhielt Frankreich den Sundgau, das Vikariat über die Bistümer Metz, Toul und Verdun und die Vogtei über 10 elsässische Reichsstädte und stand damit teilweise an der von ihm gewünschten natürlichen Ostgrenze am Rhein. Da das Saarterritorium großenteils zum Bistum Metz gehörte, war auch hier kurzfristig bis zum Frieden von Rijswijk (1697) französische Besatzung. 2. Besetzung Die 2. Besetzung dauerte nach der französischen Revolution von 1793 bis 1815. Das gesamte linksrheinische Gebiet wurde unter Napoleon in vier Departements, darunter auch ein Departement de la sarre, eingeteilt und Frankreich einverleibt. Die Hauptstadt des Saardepartements war Trier. Zu ihm gehörte der Bereich des heutigen Saarlandes, der westliche Hunsrück, das Moseltal zwischen Trier und Trarbach und die westliche Eifel bis zur Region Prüm. Unsere engere Heimat kam mit 6 Mairien als Kanton Ottweiler zum Arrondissement Saarbrücken(2). Mit der Annexion des Landes an die französische Republik wurde das französische Rechtssystem und die französische Polizeiverwaltung übernommen. In den Kommunen gab es lokale Polizeioffiziere (officiers de police) und in den größeren Städten eine kommunale Polizei mit einem Polizeikommissar (commissaire de police) an der Spitze. Für das ganze Land wurde darüber hinaus als staatliche Polizei nach französischem Vorbild eine Gendarmerie (gendarmerie nationale) aufgebaut, die organisatorisch zum Militär gehörte. Für das gesamte Departement hatte die Gendarmerie eine Stärke von 126 Mann, die in vier Brigaden organisiert waren. In Ottweiler waren 2 Gendarmen stationiert(3). Nach der endgültigen Niederlage Napoleons wurden die vier Departements im 2. Pariser Frieden (1815) jedoch dem Deutschen Reich wieder zugeschlagen. Das heutige Saarland kam als Ergebnis des Wiener Kongresses (1814/15) größtenteils zu Preußen und ein kleinerer Bereich im Südosten des heutigen Landes zur bayerischen Pfalz. Diese Situation blieb rund 100 Jahre unverändert bis zum Ende des 1. Weltkrieges. 3. Besetzung Nach dem 1. Weltkrieg war es Ziel der französischen Politik, einen Anschluss des Saarreviers an Frankreich zu erreichen. Das hatte sich in Versailles hauptsächlich wegen des Widerstandes des amerikanischen Präsidenten nicht verwirklichen lassen. Als erster Schritt in die gewünschte Richtung konnte von der französischen Seite in den Verhandlungen aber erreicht werden, dass das Kohlengebiet der Saar, sozusagen als Wiedergutmachung für in Nordfrankreich während des Krieges angeblich zerstörte Kohlengruben vom Deutschen Reich abgetrennt wurde. Frankreich wurde zugestanden, die Saargruben 15 Jahre lang auszubeuten. Die französische Wissenschaft und Publizistik haben für das Gebiet zwischen Mettlach im Nordwesten und Blieskastel im Südosten, sowie zwischen Tholey im Norden und der Landesmetropole Saarbrücken im Süden die Definition „Bassin de la Sarre“ geprägt. Damit wurde der Eindruck erweckt, es handele sich um eine natürliche geografische Einheit. Eine solche Interpretation lässt sich jedoch weder geschichtlich noch geografisch rechtfertigen. Nach 15 Jahren sollte eine Volksabstimmung über den weiteren Verbleib des Saargebietes durchgeführt werden. In diesem merkwürdigen Kompromiss sah man jedoch in Paris nur eine Übergangs- und Vorbereitungszeit auf die Einrichtung eines „Departements de la sarre“(4). Wenn sich im weiteren Verlauf auch schon vor 1930 die Vorstellung eines direkten Anschlusses als Illusion herausstellte, so hielt man doch an dem Gedanken fest, wenigstens über die Verlängerung des status quo sich langfristig die Möglichkeit des Anschlusses zu erhalten. Jedoch hatte man schon vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Reich durch verschiedene Maßnahmen (Nötigung zum Französischunterricht, Fernhalten der Bevölkerung von politischen Entscheidungen, Verbot von Veranstaltungen, Verbot von deutschen Zeitungen usw.)(5) die Abstimmungsberechtigten gegen sich aufgebracht. Der Ausgang der Volksabstimmung am 13.1.1935 ist bekannt; 90,73% votierten für die Rückkehr nach Deutschland, 8,87% für den status quo und nur 0,40% wollten eine Vereinigung mit Frankreich. Bereits am 17. Januar 1935 beschloss daraufhin der Rat des Völkerbundes die Wiedereinsetzung Deutschlands in die Regierung des Saarbeckens für den 1. März 1935. Über die Polizeiorganisation in der Saargebietszeit ist wenig Konkretes bekannt. Saarländische Quellen sind hier recht unergiebig. Die Unterlagen über die gesamte Völkerbundverwaltung befinden sich im Archiv der Vereinten Nationen in Genf. Sie sind in französischer und englischer Sprache gehalten. ![]() Nur rund 10 Jahren später, nach dem 2. Weltkrieg, wiederholte sich das alte Spiel. Frankreichs Wunsch, Kohle und Stahl an der Saar wirtschaftspolitisch zu kontrollieren, war wie nach dem ersten auch nach dem zweiten Weltkrieg Ursache für das Entstehen der Saarfrage. 1945 nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes marschierten im März zunächst die Amerikaner an der Saar ein. Dann folgten am 10. Juli 1945 die französischen Besatzungstruppen(6). Vorgehen der französischen Besatzungsmacht nach 1945. Die erste Phase der französischen Saarpolitik von 1945 bis 1952 stand unter dem Gedanken der Trennung der Saar von Deutschland und ihrer Eingliederung in den oder zumindest in die Abhängigkeit vom französischen Staat(7). De Gaulle hätte die Saar gerne annektiert(8), ist damit aber wohl am Widerstand der übrigen Alliierten gescheitert. Im April 1947 sagte der französische Außenminister Bidault: „Die Saar wird ein Gebiet bilden, dessen Bewohner eine eigene Staatsangehörigkeit besitzen, dessen auswärtige Beziehungen aber ....von der französischen Regierung wahrgenommen werden. Eine saarländische Verfassung wird den Aufbau der öffentlichen Gewalten bestimmen. Diese Gewalten werden durch die Einrichtung eines hohen Kommissars der französischen Republik beschränkt(9). Soviel zur Souveränität des geplanten saarländischen Staates. Ganz offensichtlich hatte Frankreich die Abtrennung des Saarlandes von Deutschland und einen Wirtschaftsanschluss an Frankreich als Nahziel und die Vereinigung mit Frankreich als eventuelles Fernziel. Bereits am 31. 7. 1945 hat Frankreich mit der Bildung eines unabhängigen Regierungspräsidiums Fakten geschaffen, die auf eine Trennung des Saarlandes von den übrigen Besatzungszonen hinauslief(10). Dies nur 21 Tage nachdem es Amerika als Besatzungsmacht im Südwesten Deutschlands abgelöst hatte. Aber Mitte 1947 gab man von französischer Seite die direkten Annexionspläne auf und setzte auf den Wirtschaftsanschluss(11). Dies war jedoch nur ein subtileres Vorgehen als nach dem 1. Weltkrieg, das Ziel blieb das gleiche. Von der französischen Besatzungsmacht und von der späteren saarländischen Regierung wurden in der Folge die Gründung und die Arbeit von Vereinen unterstützt und geduldet, die unverhohlen eine Annexion des Saarlandes durch Frankreich unterstützten: das MLS (Mouvement pour la Libération de la Sarre) und das MRS (Mouvement pour la Rattachement de la Sarre à la France). Ab 1946 standen die Saargruben unter französischer Verwaltung. Am 22.12.1946 wurde das Saarland in eine Zollunion mit Frankreich einbezogen und durch eine Grenze mit Schlagbäumen, an der französische Zöllner standen, von der übrigen französischen Besatzungszone getrennt(12). Damit wurde das Saarland praktisch wirtschaftlich an Frankreich angeschlossen. Schon im Juli 1946 hatte Frankreich das Saarterritorium gegenüber dem Saargebiet von 1920 – 1935 durch Verwaltungsakt vergrößert und zwar um 950 qkm und ca. 90 000 Einwohner(13). Im einzelnen handelte es sich dabei um 70 Gemeinden des Kreises Saarburg, 43 Gemeinden des Kreises Wadern, 11 Gemeinden des Kreises Trier-Land und um 18 Gemeinden des Kreises Birkenfeld. Diese Eingliederungen wurden im Juni 1947 auf Druck der Amerikaner und der Briten teilweise wieder rückgängig gemacht. Die Gemeinden der Kreise Wadern und Birkenfeld und einige Gemeinden des Kreises Saarburg blieben beim Saarland. Am 17.12.1947 erhielt das Saarland eine eigene Verfassung, die die Lostrennung von Deutschland, die Gründung eines Saarstaates, den wirtschaftlichen Anschluss an Frankreich und eine Währungs- und Zollunion beinhaltete. Frankreich wurde die außenpolitische Vertretung und die Verteidigung übertragen. Diese Verfassung war das Ergebnis der Ausübung von Besatzungsrecht, nicht des freien Willens der saarländischen Bevölkerung(14). Angeblich war das Saarland ein unabhängiger Staat, in Wirklichkeit aber waren wir nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch von Frankreich abhängig. Mit Gilbert Grandval wurde ein Militärgouverneur (1945 – 1948) installiert, mit dem die angeblich selbständige saarländische Regierung alle Gesetzes- und sonstigen Vorhaben abstimmen musste. Von 1948 bis 1952 war Grandval Hochkommissar und von 1952 bis 1955 Botschafter Frankreichs im Saarland. Er war die beherrschende Persönlichkeit der französischen Saarpolitik. Darüber hinaus gab es in der saarländischen Regierung zwei Minister mit französischer Staatsangehörigkeit. Alle Verbindungen zum deutschen Wirtschaftsraum wurden systematisch unterbunden und der Einfluss Frankreichs auf die saarländische Wirtschaft verfestigt (Saargruben unter französ. Verwaltung, Saarhütten unter französ. Zwangsverwaltung, Schaffung einer eigenen Post- und Eisenbahnverwaltung, Übernahme aller deutschen Versicherungsgesellschaften und Bankinstitute durch die Franzosen usw). Der Geld- und Kapitalverkehr wurde nicht nur mit den übrigen Besatzungszonen in Deutschland, sondern sogar auch mit den anderen Teilen der französischen Besatzungszone generell verboten. Dieser Abschottungsmaßnahme folgte im Juli 1947 die Einführung der Saar-Mark. Nach nur fünf Monaten war diese währungspolitische Episode aber schon wieder vorbei. Durch Gesetz der französischen Nationalversammlung vom 20. November 1947 wurde der Franc alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel im Saarland. Von diesem Zeitpunkt an ging es den Saarländern wirtschaftlich kurzfristig besser als den Deutschen im übrigen Reichsgebiet. Ältere werden sich an die ersten Südfrüchte in ihrem Leben und an andere unbekannte oder damals längst vergessene Delikatessen erinnern. Obwohl der wirtschaftliche Anschluss an Frankreich für die Bevölkerung zunächst einige Vorteile brachte, wurde von der Menschen eine allmähliche Französisierung registriert (Angleichung von Post- und Eisenbahntarifen an die französ. Tarife, Inbesitznahme der Saargruben als Régie des Mines de la Sarre durch Frankreich, zwangsweiser Französischunterricht schon in den unteren Klassen der Volksschule usw). Es wurde auch der nicht eindeutig widerlegte Vorwurf erhoben, Frankreich habe für das Saarland bestimmte Marshallplan-Gelder zurückgehalten. Die Bevölkerung wurde in echte Saarländer mit rotem Pass (Personalausweis) und zugezogene (Graupässler) mit wesentlich schlechterem Status aufgeteilt. Auf diese Art und Weise wurden ca. 70 000 Bewohner des Saarlandes zu Ausländern deklariert. Nach dem saarländischen Staatsangehörigkeitsrecht konnte Graupässlern jedoch die saarländische Staatsangehörigkeit verliehen werden, wenn sie sich durch loyale Haltung zum Regime bekannten. Zu diesen vielfältigen Bemühungen, den Autonomiestatus des Saarlandes festzuschreiben, sagte Bundespräsident Heuss in einer viel beachteten Rede am 12. Januar 1950 in Koblenz, die Saar sei geschichtlich und ethnisch deutsches Land(15). In den ersten Jahren nach 1945 hatte die saarländische Verwaltung bei Ausweisungsmaßnahmen keinerlei Mitspracherecht. Die Militärregierung sah diesen Bereich, wie auch die Internierungslager, als ihre ausschließliche Domäne. Man wollte das Land nicht nur entnazifizieren, sondern auch „entpreußen“. Im preußischen Einfluss wurde eine der Ursachen für das Ergebnis der Volksabstimmung vom 13. Januar 1935 gesehen. Seitens der Militärregierung in Baden-Baden trug man sich sogar mit dem Gedanken 100 000 bis 150 000 Saarländer auszuweisen – offensichtlich auch eine Reaktion auf die deutschen Ausweisungen aus Elsaß-Lothringen während des Krieges(16). Mit der Begründung, sie könnten die Sicherheit und Ordnung im Besatzungsgebiet gefährden, wurden von 1945 bis Ende 1947 insgesamt 1820 Personen von der Militärregierung aus dem Saarland ausgewiesen. |
Quellenangaben finden im nächsten Teil |
Armin Schlicker |