Die Juden in Neunkirchen
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Ein Bericht von Werner Fried – Teil 2 –
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1863: Laut Beschluß des Neunkircher Bürgermeistereirates erfolgt die Abtretung des größeren, alten, evangelischen Schulhauses an die israelische Confessionsgemeinschaft. Da die israelische Gemeinde eine Privatschule unterhält, kann sie auf zuwendenden Zuschuss aus Gemeindemitteln nicht „berücksichtig“ werden, wenn sie nicht vorher als öffentliche Schule erklärt und anerkannt wird. 1865: Laut Beschluss des Gemeinderates erhält der Handelsmann Lazarus Rothschild eine Entschädigung für die Benutzung seiner Wiese beim Ausgraben eines Brunnen. 1869: Der israel. Vorstand beantragt die Einfriedung des israelischen Friedhofs auf Kosten der Gemeinde Neunkirchen. 1870: Der Bürgermeistereirat beschließt, sich mit einem Viertel der Kosten an der Einfriedung des Israelischen Friedhofs zu beteiligen. 1875: Erweiterung des israelischen Friedhofs auf Kosten der Bügermeisterei Neunkirchen. 1878: Der Gemeinderath beschließt am 3.1. einen Zuschuss zur Unterhaltung der jüdischen Privatschule nach Verhältnis des pro Jahr und Kind zu zahlenden Gemeindeschulgeld. 1880: Der Gemeinderath bewilligt am 14.5. dem früheren israelischen Lehrer Sänger, wie im vorigen Jahr eine Unterstützung von monatlich 20 Mark für 1880/1881. Auf Antrag der israelischen Cultusgemeinde vom 26. Januar genehmigt die Gemeindevertretung am 14.5. der jüdischen Privatschule 1880/1881 eine Unterstützung in der bisherigen Höhe. 1884: Der Antrag der jüdischen Religionsgemeinschaft auf Bezahlung der Heizungskosten für die Stunden des Religionsunterrichts wird am 24.7.1884 abgelehnt. 1887: Dem früheren israelischen Lehrer Sänger wird durch Beschluss der Gemeindevertretung vom 25.5. die bisherige Unterstützung entzogen und statt dessen eine monatliche Pension von 25 Mark bewilligt. 1905: Saar- und Blieszeitung vom 28.9.1905: Die hohen israelischen Herbstfeiertage beginnen am 30. des Monats mit dem Neujahrstag 5666, das Versöhnungsfest ist am 9.10, das Laubhüttenfest vom 14.-21.10 und der Feiertag zur Gesetzesfreude am 28.10. 1918: Neunkircher Zeitung (Organ der Zentrumspartei) am 10.6.1918 Vizefeldwebel Adolf Blum aus Wellesweiler starb den Ehrentod. 1921: Aus der Neunkircher Volkszeitung (Organ der Zentrumspartei) vom 30.9.1921. In die Vertreterversammlung der Ortskrankenkasse wurde u.a. der Geschäftsführer August Blum gewählt. Ausgabe vom 1.12.1921 Das Kaufhaus Josef Levy Wwe. hat der Gemeinde Neunkirchen zur Förderung des Kleinwohnungsbaus 200.000 Mark gespendet Ausgabe vom 12.12.1921 Stiftung der Familie Herzberger in Höhe von 200.000 Mark zur Beschaffung von Baugelände für den Kleinwohnungsbau. Vorausgegangen war am 8.1.21 die Meldung, dass 790 Familien in Neunkirchen eine Wohnung suchen. 1922: Aus der Neunkircher Volkszeitung vom 15.12.1922 Herr Ernst Blum aus Wellesweiler, der vor Jahren als Gymnasiast bei einem Ausflug durch einen Unglücksfall um sein Augenlicht kam, hat am hiesigen Realgymnasium sein Abiturexamen bestanden. Er musste nach diesem Unfall andere Wege einschlagen. Nachdem er die Vorbildung an verschiedenen Blindeninstituten erhalten hatte, widmete er sich zunächst musikalischen Studien, die er am Konservatorium in Köln durch die Ablegung der Prüfung als Musiklehrer zum Abschluss brachte. Nun ist der Weg in akademische Berufe geöffnet. (Angemerkt sei hier, dass er es trotz seiner Behinderung zum Gerichtsassessor im Dienst der Finanz- und Steuerverwaltung in Saarbrücken gebracht hatte. Nach der Rückgliederung des Saargebietes an das Deutsche Reich im Jahre 1935 blieb ihm als Juden, zusammen mit seiner Familie nur die Emigration nach Frankreich, und von dort, nach einer wahren Odysee, immer auf der Flucht vor seinen Häschern, kehrte er im Dezember 1945 nach Saarbrücken zurück und stellte sich zum Wiederaufbau der Verwaltung zur Verfügung. Zuletzt war er Ministerialrat im Ministerium für Arbeit und Sozialwesen. Er hatte sich in vielerlei Hinsicht verdient gemacht. Auch außerhalb seines Dienstbereiches. Verstorben ist er im Jahre 1970. In seinem Geburtsort Wellesweiler gibt es zum Gedenken an ihn die Ernst Blum Straße.) 1924: Aus der Saar- und Blieszeitung vom 13.5.1924. Kriegergedenkfeier auf dem israelischen Friedhof, zusammen mit dem Kriegsopferverein und den Angehörigen der israelischen Gemeinde. 1925: Aus der Neunkircher Volkszeitung vom 18.9.1925. Israelisches Neujahr: Am 19. und 20. September feiern unsere israelischen Mitbürger ihr Neujahrsfest, das Jahr 5686 seit der Erschaffung der Welt. Nur wenige Jahre später am 30.1.1933 war die Machtübernahme durch Hitler und fortan waren die Juden keine geachteten Mitbürger mehr. Es begann die Hetze gegen das Judentum bis hin zur sogenannten Reichskristallnacht am 9. 11.1938, in der überall in Deutschland die Synagogen brannten – einen Tag später auch in Neunkirchen. Hier entlud sich aber nicht etwa ein echter, aufgestauter Volkszorn, sondern hier lief eine von langer Hand geplante Aktion gegen die Juden ab. Man machte sie zu Volksfeinden, enteignete sie und machte sie recht- und wehrlos. Dass dies alles geplant war, das kann man aus der Meldung in der Saar- und Blieszeitung vom 12.11.1938 – also nur 3 Tage nach diesem inszenierten Aufruhr – ersehen denn da gab es schon die Bekanntmachung des Gauwirtschaftsberaters, wonach Interessenten an jüdischem Besitz, solche Besitztümer künftig nur über die gegründete „Auffanggesellschaft für jüdische Vermögenswerte“ erwerben können Per Beschluss der NS-Ratsherren vom 11.8. 1942 kam so auch die Stadt Neunkirchen über diese Gesellschaft für 165 Mark in den Besitz der Hälfte des jüdischen Friedhofs. Die andere Hälfte des Friedhofes war im Besitz jüdischer Eigentümer aus Spiesen. Die Erwerbsverhandlung im Zuge der „Entjudung“ sei aber im Gange hieß es damals. Am 24.11.1938 wurde dann in der Saar- und Blieszeitung auf unzeitgemäße Lieder hingewiesen, weil sie von Juden gedichtet und vertont, wie z.B. „Ich weiß nicht was soll es bedeuten“, „Wohlauf in Gottes schöner Welt“, „nun bricht aus allen Zweigen“, „nun zu guter Letzt“. Was dann folgte, nämlich die planmäßige Vertreibung und Vernichtung der Juden weit über die deutschen Grenzen hinaus, dürfte heute allgemein bekannt sein und soll hier deshalb nicht erörtert werden. Genannt sei nur noch eine Schlagzeile aus der NSZ vom 24.6.1940: „Juden im Elsaß – Wirtschaftliche und politische Verseuchung des alten Reichslandes“. Mir selbst, Jahrgang 1923, ist erst nach dem Krieg zur Kenntnis gelangt, welche Verbrechen während des Krieges an den Juden begangen wurden. Abschließend noch ein Gedicht von Max Frank, das kurz nach Beginn des ersten Weltkrieges am 16.9.1914 in der Neunkircher Volkszeitung veröffentlicht wurde: Die erste Fahne Und wisst ihr, wer bei Lagarde in der Schlacht Die erste Fahne heimgebracht? Die erste Fahne beim ersten Siege, die erste Fahne im ganzen Kriege? Der Jude Fischel ist es gewesen, so stand es in den Blättern zu lesen. Groß rühmen will ich den Juden nicht, er ist Soldat und tat seine Pflicht, wie tausend Juden, Millionen Christen, die zu kämpfen verstehen und zu sterben wüssten. Er soll nicht Ditgramben hier lesen, weil er ein Mann unter Männern gewesen. Doch wünsch ich, dass jene läsen die Mär. Die Feind dem Juden seit altersher, ihn niemals neben sich haben gelitten, ihnen Deutschtum und Mannesmut abgestritten. Von denen wird mancher sich doch nun bequemen, sich ganz, ganz heimlich ein wenig zu schämen. Welches Leid aber wird diesem tapferen Juden Fischel während der Naziherrschaft widerfahren sein, wenn er als Kämpfer für Kaiser und Vaterland den ersten Weltkrieg überlebt hat? In Ergänzung des Berichtes von Herrn Werner Fried sei hier noch auf einen Beitrag der Redaktion der „Scheiber Nachrichten“ hingewiesen leider ohne Verfasser und auch zum Teil ohne Quellenangaben. Dieser Beitrag soll zu weiteren genaueren Forschungen anregen. Jüdischer Friedhof Die hiesigen verstorbenen Juden wurden ursprünglich auf dem Judenfriedhof in Illingen bestattet. Erst am 28.11 1831 erwarben die Israeliten zu Neunkirchen und Spiesen zu diesem Zwecke für 16 Reichsthaler und 20 Silbergroschen ein Stück Ackerland von den Eheleuten Georg Bach und Katharina Düd aus Neunkirchen. Dieses Ackerland lag auf dem Banne „Auf Maien an der Altseiters“ Flur 20, Parzelle 20 und 21 und hatte insgesamt eine Grundfläche von 151 preußischen Quadratruten und 80 Fuß (umgerechnet rund 2188 m2), allerdings sind davon ursprünglich nur 46 preußische Quadratruten und 40 Fuß (658 m2) für die Anlegung eines Kirchhofes genutzt worden. Am 28.12.1831 wurde dann vom Königlichen Landrat in Ottweiler die Genehmigung für die Anlegung eines Judenfriedhofes erteilt. Nach Erteilung der Genehmigung wurde der Judenfriedhof aber keineswegs sofort von den Mitgliedern der Judengemeinden genutzt; im Gegenteil, sie nahmen lieber weiterhin die hohen Beträge, die sie für die Beisetzung in Illingen zahlen mussten in Kauf, als dass sie eine Benutzung des hiesigen Friedhofes vorzogen. So wurden sie letztlich durch polizeiliches Eingreifen dazu gezwungen ihre Verstorbenen nicht mehr in Illingen zu bestatten. Hierzu ein Auszug aus den Friedhofsakten des Stadtarchivs Neunkirchen. Am 10.12.1832 ist in Neunkirchen dem Leonhard Bernheim ein Kind gestorben und er wollte es nicht auf dem neu angelegten Friedhof in Neunkirchen beerdigen, sondern wie bisher in Illingen. Bürgermeister Aich schreib dazu: Ungeachtet, dass hier ein jüdischer Friedhof errichtet ist, so will dennoch keine Jüdische Familie ihre angehörige Leiche dorthin beerdigen lassen, weil sie auf dem Aberglauben anhängen, dass sobald eine Leiche auf dem neuen Friedhof liege, der Kirchhof noch zehn Opfer aus der Familie fordere. Im Jahre 1832 wurde daher vom Königlichen Landrat „Herr von Rohr“ verfügt, dass keine jüdische Leiche ohne ausdrückliche polizeiliche Erlaubnis und Erteilung eines Leichenpasses in Illingen beerdigt werden durften. Mit der folgenden Begründung da: – die israelitischen Bürger hiesiger Gemeinde zu jeder Gemeindelast herangezogen werden, – für die Bedürfnisse der katholischen wie der evangelischen Einwohner Sorge getragen wird, insbesondere beide Confessionen ihre getrennten Friedhöfe besitzen, – der vorhanden kleine israelitische Friedhof nicht eingefriedet ist, auch den Bedürfnissen nicht entspricht, beantragten die Israelitischen Gemeinden zu Neunkirchen durch ihren Vorstand Lazarus Rothschild im Mai 1873 und zu Spiesen durch ihren Vorstand M. Lion im Juni 1873: Es möge die Civilgemeinde auch der hiesigen israelitischen Gemeinde ebenfalls einen entsprechenden geräumigen Friedhof an passender Stelle anlegen lassen und überweisen. Beide Anträge wurden jedoch abgelehnt. Diesbezüglich gab es zwischen den beiden Judengemeinden und der hiesigen Gemeindeverwaltung ein jahrelanges Gerangel. In der Tat wurde die genutzte Begräbnisstätte von den Juden nur mit Hainbuchenhecken und einem Schutzzaun aus Latten eingefriedet. Erst in den 80er Jahren wurde der israelitische Friedhof vergrößert und mit einer Mauer und einem schmiedeeisernem Tor umfriedet. Die Gemeinde Neunkirchen unterstützte die Arbeiten finanziell. Im Jahre 1897 wurde die Gesamtfläche aufgeteilt und es entstanden die Flurnummern 324 und 325. Das im Grundbuch Neunkirchen Blatt 4498 eingetragene Grundstück Flur 20 Nr. 325/20 Größe 10,94 ar wurde am 27.5.1942 an die Stadt Neunkirchen verkauft und am 5.9.1949 von der jetzigen „Synagogengemeinde Saar“ wieder zurückgekauft (Urkunde von Notar Dr. Kirch) Die andere Hälfte, ebenfalls 10,94 ar teilt sich in 18 jüdische Eigentümer. In den Nachkriegsjahren wurde der Friedhof wieder hergerichtet. Er dient auch als letzte Ruhestätte von ehemaligen russischen Kriegsgefangenen. Eine Gedenktafel mit der Inschrift... Den Mitgliedern der Synagogengemeinde Neunkirchen Die in den Jahren 1933–1945 Roher Gewalt erlagen! Allen in diesem Gottesacker ruhenden Jüdischen Menschen in ehrender Erinnerung. ...erinnert an die Zeit der Naziherrschaft. |
– Quellen:
– Mitteilung des Historischen Vereins für die Saargegend Heft 21, Saarbr. Seite 283-291 – Archiv der Stadt Neunkirchen – Fotoarchiv Horst Schwenk |