Historischer Verein
Stadt Neunkirchen e.V.

Historischer Verein Stadt Neunkirchen e.V.

Die Juden in Neunkirchen

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Ein Rückblick, anlässlich des Jahrestages dieser schrecklichen Ereignisse vom 9. November 1938, der sogenannten Reichskristallnacht, vor allem aber ein Rückblick in die lange Zeit davor, soweit es in Neunkirchen Juden gab:
Bürgerliche Rechte, wie sie heute eine Selbstverständlichkeit sind, die gab es in früherer Zeit nicht einmal für die einheimische Bevölkerung. Die Menschen waren Untertanen ihrer fürstlichen Herrschaft und wurden auch so behandelt.
Auch die späteren Gemeindeverordnungen gewährten nicht jedem Ansässigen die vollen Bürgerrechte, und so hat zum Beispiel der Neunkircher Gemeinderat noch am 18.7.1867, entsprechend diesem Rechtsverständnis, wenn auch damals in begrüßenswerter Weise, nur beschlossen, das Einkaufsgeld (Einkauf in die vollen Bürgerrechte) wie folgt zu reduzieren:

Für Nichteingeborene, von 20 auf 3 Thaler.
Für Halbfremde, von 10 auf 2 Thaler.
Für einheimische Familien, von 5 auf 1 Thaler.
Gemäß einer „Tabelle der Meyerey Neunkirchen“, bestehend aus den Dörfern Neunkirchen, Wellesweiler und Spiesen mit den drei herrschaftlichen Höfen, „Forbacher Hoffsbann, Kohlhoff Hofsbann und Neunkircher Schweitzer Hoffsbann“, aus dem Jahre 1741, waren in der Meyerey insgesamt 108 Bauern und 14 Tagelöhner und Hintersasser ansässig, aber noch keine Juden. Erst ab dem Jahre 1776 sind nach und nach einige Juden hier ansässig geworden.
Mit einen ersten Beweis dafür haben wir aus dem Jahre 1785, wo unter Punkt 10 in der „Gemeinde Rechnung des Dorfes“ des Dorfes Neunkirchen, 11 jüdische Familien wie folgt aufgelistet sind.
Von der Judenschaft
Diese bezahlen jährlich 3 Gulden und 30 Albus, und es sind zu verrechnen:
Von Abraham Jakob, 3 Gulden 30 Albus.
Von Jumbel Isaak, 3 Gulden 30 Albus.
Von Meier Aaron, 3 Gulden 30 Albus.
Von Jakob Mendel, 3 Gulden 30 Albus.
Von Alexander Samuel, 3 Gulden 30 Albus.
Von Meier Elias, 3 Gulden 30 Albus.
Von Hayum Bernheim, 3 Gulden 30 Albus.
Von Meier David, 3 Gulden 30 Albus.
Von Simon David, 3 Gulden 30 Albus.
Von Elias David, 3 Gulden 30 Albus.
Von Meier Hanauer, 3 Gulden 30 Albus
Summa 38 Gulden 30 Albus
(Anmerkung: 30 Albus = 1 Gulden)

Für die Juden, wenn sie ansässig werden wollten, galt nämlich in jener Zeit ein Sonderstatus. Sie brauchten einen Schutzbrief des jeweiligen Landesfürsten, der ihnen damit den Schutz für ihr Eigentum und zugleich bestimmte Privilegien gewährte.
Diese Privilegien aber bedeuteten in Wahrheit Einschränkungen in ihrer Handlungsfreiheit. So durften die Juden keine handwerklichen Berufe ausüben und keinen größeren Grundbesitz haben. Ihre Tätigkeit war auf das Handelsgewerbe beschränkt, was ihnen dann später sehr zum Vorwurf gemacht wurde.
Schon wenige Jahre später, nämlich im Jahre 1790 erfolgte per Dekret der Nationalversammlung in Paris die bürgerliche Gleichstellung der Juden für den Bereich der franz. Republik, die sich dann auch auf unser Gebiet erstreckte. Damit waren Schutzbrief und Schutzgeld entfallen und die Juden wurden nun mehr und mehr in die Gesellschaft integriert, ja sie gingen in ihr auf , als gleichberechtigte, deutsche Bürger.
Auch die Juden in Neunkirchen waren so zu gleichberechtigten Bürgern geworden, wenigstens insoweit, als sie keinen Schutzbrief mehr brauchten und auch kein Schutzgeld mehr zu zahlen hatten. Doch ganz von dem alten Denken war man noch lange nicht frei, insofern, als man sie doch noch als eine Sondergruppe behandelte, gut dokumentiert mit der Eintragung vom 31.8.1830 in der Beratungsliste der Neunkircher Schöffen, vergleichbar den späteren Gemeinderats-Beschlußbüchern, wo es heißt:
„Nachdem die hiesigen handeltreibenden Israeliten sich bei dem Bürgermeisterei-Amte dahir zu Gewerbescheinen für das Jahr 1831 gemeldet hatten, wurde das diesfällige Anmeldeprotokoll dem Stadtrate vorgelegt um die Zulässigkeit dieser Anträge gemäß Artikel 7 des Gesetzes vom 17. März 1808 zu prüfen. Der Schöffenrath, in Erwägung, dass gegen die hiesigen Handeltreibenden:
August Joseph von Neunkirchen, August Theobald von Neunkirchen, August Elias Simon, von Neunkirchen, Samson Löb von Neunkirchen, Moses Hans von Neunkirchen, Liebermann Meyer von Neunkirchen, Hans Jakob, von Neunkirchen, Bernheim Leonhard von Neunkirchen, Meyer Meyer von Neunkirchen, Samuel Blach von Neunkirchen und August Daniel von Wellesweiler, sodann Isaak Victor, Gottfried August, Theobald Lion, Jakob Meyer, und Moses Freis, alle von Spiesen, keine Beschwerden bekannt sind, dieselben auch im Genuß der bürgerlichen Rechte sind, auch in unbescholtenem Rufe stehen, aus diesen Gründen wird denselben mit bezug auf das vorzitierete Gesetz, welches durch allerhöchste Ordre vom Merz 1818 in Kraft erhalten worden ist, das Zeugnis ertheilt, daß keiner der vorgenannten sich mit einem unerlaubten Handel abgegeben noch Wucher getrieben habe.“
Unterschieden haben sich die Juden gegenüber der übrigen Bevölkerung nun hauptsächlich hinsichtlich ihres anderen Glaubens, und allein deshalb wissen wir heute etwas mehr über ihre jeweilige Anzahl, denn bei den immer wieder stattgefundenen Volkszählungen, wurde peinlich genau auch erfaßt, wieviel Personen jeweils protestantischen, katholischen oder israelischen Glaubens waren. Alle hatten auch ihre eigenen Gotteshäuser, und so hatten z.B. die Juden in Spiesen, das ja bis 1922 zur Bürgermeisterei Neunkirchen gehörte, bereits seit 1819 eine eigene Synagoge, die 1861 durch einen Neubau ersetzt wurde, und zu deren Einweihung am 5.5.1861 (entnommen dem Heimatbuch von Spiesen) sich viele Gäste eingefunden hatten, wie z.B. der Distrikts – Schulinspektor Zimmermann aus Wiebelskirchen, sowie der Pfarrer Maurer und der Bürgermeister aus Neunkirchen. Dem symbolischen Umzug von der alten zur neuen Synagoge ging zum Teil fahnenschwenkend die israelische und evangelische Jugend voran.
Die Neunkircher Juden verfügten zu diesem Zeitpunkt nur über einen Bet- und Versammlungsraum, und erst seit dem 25.11.1865 an gleicher Stelle über eine Synagoge, zu deren Bau die Gemeinde Neunkirchen 500 Thaler beisteuerte. Niemand hätte sich damals vorstellen können, dass diese Synagoge, geschürt durch blinden Hass, einmal niedergebrannt werden könnte, wie es 1938 dann tatsächlich geschehen ist....

Die Juden waren damals, ganz anders als z.B. die in Zeiten des Wirtschaftswunders vor Jahren ins Land geholten türkischen Gastarbeiter, zu gleichberechtigten Bürgern, zu deutschen Staatsangehörigen israelischen Glaubens geworden. Das herausragend Trennende war der unterschiedliche Glaube, und zwar ebenso hart und uneinsichtig trennend, wie das damals auch nur zu oft auch zwischen Protestanten und Katholiken der Fall war, mit eigenen Gotteshäusern und eigenen Schulen, ja getrennt sogar über den Tod hinaus, denn jede Religionsgemeinschaft bestand auf einem eigenen Friedhof.
Geradezu grotesk mutet es heute an, wenn man im „Beschlußbuch des Bürgermeisterraths“ unter dem Datum vom 14.2.1883 liest, dass der katholische Kirchenvorstand dagegen protestierte, daß der Zugang zu dem neuen katholischen Friedhof auf der Scheib über den evangelische Friedhof erfolgen soll. Der Protest wurde damals abschlägig beschieden, aber per Beschluß vom 26.4.1884 willigte man darin ein, daß ein besonderer Zugang zu dem kath. Friedhof angelegt wird, doch auf Kosten der kath. Pfarreien von Neunkirchen, Niederneunkirchen, Kohlhof und Wellesweiler.
Den Neunkircher Juden hatte der königliche Landrat im Jahre 1831 die Anlage eines eigenen Friedhofs genehmigt. Bis dahin aber wurden ihre Toten in Illingen beigesetzt.
Dieses Trennende fand auch im Volksmund seinen Niederschlag. Da wurden die Protestanten als „Blookepp“ die Katholiken als „Kreizkepp“, und die Israeliten einfach als „die Judde“ beschimpft.

Alle aber waren dann doch wieder vereint in ihrer Treue zu Kaiser und Vaterland.
Treudeutsch blieben die Juden auch noch nach der Abdankung des Kaisers und manche sogar bis in die NS-Zeit hinein, weil sie einfach nicht glauben konnten und wollten, dass dieses NS-Regime sie vertreiben und vernichten wird....

Dass die Juden bis dahin mit allen bürgerlichen Rechten und Pflichten voll integriert waren und so auch in Neunkirchen, das soll nun hier kommentarlos ein wenig dokumentiert werden, mit einer Auflistung von Beschlüssen des Neunkircher Gemeinde- bzw. Bürgermeistereirates und anhand aufgelesener Zeitungsmeldungen, wenn auch ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit:

Quellen:
– Mitteilung des Historischen Vereins für die Saargegend Heft 21, Saarbr. Seite 283-291
– Archiv der Stadt Neunkirchen
– Fotoarchiv Horst Schwenk
Ende Teil 1
Werner Fried