Historischer Verein
Stadt Neunkirchen e.V.

Historischer Verein Stadt Neunkirchen e.V.

Die Neunkircher Fastnacht
nach dem Krieg und in den Fünfziger Jahren
von Karlfried Müller - 2. Teil -
 
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Prunkwagen waren 1954 noch schlichter. Prinzessin Rosmarie I. schert das wenig. „Leibwedler“ Stoffel jubelt Hei-Joo. Bild Kf. Müller

1955; Tanzpaar der Plätsch; Cilly Heß und Horst Schwenk Bild Kf. Müller

Titelseite des Programms der „Neinkeijer Plätsch“ 1953

Programmfolge der Kappensitzung 1953 der „Neinkerjer Plätsch“

„Der Rasen des Ellenfeldes zerfließt im Regen.“
Das Ellenfeld war der einzige Rasenplatz im Saarland. Wenn das kein Heimvorteil war, der die Gegner bei Regen ins Schlittern brachte? Die Spieler waren astreine Amateure ohne Entgelt, bis auf den einen oder anderen Sack Mehl oder Kartoffeln, den meist Henner Theobald als Spielführer für sich und seine Mannen organisierte. Böse Zungen behaupten; Für die Mannschaft die Kartoffeln, für sich das Mehl. – „Die Leit schwädze viel,- Es is awwa aach viel wohr.“
Und dann kam eine Charly Scholz abgelauschte Schilderung: „Emil Welsch drischt den Ball über die Auslinie. Das Leder durchpflügt die Zuschauermassen. Hunderte von Regenschirmen wackeln zur Seite.“
Und noch eins drauf: „Und da ist Peter Momber durch die Abwehr der Saarbrücker durchgebrochen. Er schießt. – er schießt – er schießt immer noch. – Ja, wann schießt er denn nun endlich. – Und da geht Peter Momber 3 Zentimeter über die Latte.“ („De Momber Pitt“ wurde später vom FCS, der in der 2. Französischen Liga hospitierte, in einer Nacht- und Nebelaktion ´rübergeholt. Dies war, wie alte Borussen glaubhaft versichern, illegal geschehen. Mombers Spielerpaß soll heute noch bei Borussia abgeheftet sein. Alte Borussen, wie zum Beispiel Manfred Weber, haben ein Gedächtnis, wie alte Elefanten. Recht haben sie.)

Es geht los.
Ab 1947 war dann aber der Fortschritt wirklich nicht mehr aufzuhalten. Bis dahin hatte es allenfalls mal Maisbrot oder „Fliecher-Linse“ zusätzlich zu den Hungerrationen gegeben. Von den Linsen wird aber 1952 in einer „ungehaltenen“ Büttenrede zu berichten sein.(4)
Im Juni gab man uns - anstelle der Reichsmark - die Saar-Mark, eine Zwischenwährung für die man schon richtig etwas kaufen konnte: Pferdefleisch, Innereien in Dosen. („Aandudel“ sagte meine Oma dazu). Und algerischen Rotwein der Marke „billig, süffig, lose“.
Im November 1947 brachen dann aber der Französische Franc, feiste französische Mastgänse und der „Buscheljeh“ (Beaujolais) förmlich über uns herein.
Interessant ist, das der hierorts bislang unbekannte Wein-Name Beaujolais sofort als „Buscheljeh“ in unsere Mundart übernommen wurde. Andere „Fremdwörter“, haben das nie geschafft. Zum Beispiel die „Öffentliche Hand“ Die Lippen glänzten damals vom Fett, die Augen vom Wein. Der Hunger war vorbei. Der Durst auch.
Ein böser Satz wurde bereits im Dezember 1947 dem Landesvertrauensarzt Dr. Springer zugeschrieben: „Die Saarländer haben sich in 8 Jahren gesund gehungert und in einem Monat krank gefressen.“ Ich wehrte mich gegen diese zynische Bemerkung. Tatsache aber ist: Ich selbst erlebte Weihnachten 1947 bei Zwieback und Tee. Ich hatte mir eine Gelbsucht zugezogen. - Zufall?
Dann aber ging es Schlag auf Schlag:
1950: Der erste Hochofen auf Hütte wird „no´mol aangeschdeckt“. (5)
1951/52: In der Stadt werden über 3000 Wohnräume wieder aufgebaut. ...(6)
Überall geht es vorwärts. Tatkraft erwacht. Freude kommt auf.
Karnevalsgesellschaften werden gegründet: In der Saison 1950/51 die „Do machschde ebbes met“ (Die Daaler), 1951/52 die „Rote Funken“ in der Kolpingfamilie und gleichzeitig die „Neinkerjer Plätsch, große Karnevalsgesellschaft im TuS 1860“.
1952 lief auch der erste große Rosenmontagszug, geplant und durchgeführt von der „Do machschde ebbes met“, aus denen „die Daaler“ wurden, Mit 18, nur vom Verein gestalteten, Wagen zog er von der Talstraße in die Stadt hinunter. Die anderen Gesellschaften strebten nun gleich eine Zusammenarbeit in einer Dachorganisation an.(7)
Zielrichtung waren vorrangig: Ein gemeinsamer Rosenmontagszug und ein gemeinsames Prinzenpaar für ganz Neunkirchen.
Schon am 11.11.1952 war es so weit, in der ersten gemeinsamen Veranstaltung, im damaligen Hotel Becker in der Bahnhofstraße, wurde mit Peter Geib der erste NKA-Prinz für die Session 1952/53 proklamiert.
Geleitet wurde die Sitzung von Oberstudienrat Gottfried Zepp dem Gründungspräsidenten. Kurt Böckle (Ben), damals noch Student, hielt eine viel beachtete 3-fach Büttenrede (aus der „la meng“) über den Bismarckhering. Er stand in der Türe zum „Saal“ und redete nach links ins Restaurant über den Hering, nach rechts in den Saal über Bismarck und nur, wer, wie ich, das Glück hatte in seiner Nähe zu sitzen, bekam alles über den Bismarckhering mit. Aufzeichnungen der Rede gibt es nicht. Sie war von einem brillianten Kopf aus dem Augenblick und für den Augenblick geboren.

1953 gab es auch den ersten gemeinsamen Rosenmontagszug. Und der Rosenmontagszug ist für das Saarland einmalig geworden. Seit 1952 lief der „Zuuch“ einige Male als Züglein, aber durchweg als respektabler Zug in jedem Jahr, in dem nicht gerade Witterungs – Kriegs- oder andere Katastrophen (ich erinnere an das Grubenunglück in Luisenthal) ihn verhinderten. Er ist sozusagen der „längste“ Rosenmontagszug des Saarlandes geworden und wird es auch wohl bleiben. Wenn auch „die Saabregger“ in Ermangelung eines eigenen Zuges, den Zug in Burbach neuerdings bei geringerer Zahl der Zugnummern und Wagen vom Publikumszuspruch her aufzublähen versuchen.
Hut ab vor dem Mut der Gründervereine, die schon fast von Beginn an, eigene Interessen hintan stellten, zum Wohle der Stadt. Zurück zu den Büttenreden. Heimatkundliche Leerwanderung im Saargebiet hieß die Rede, die ich 1952 nur so, für wen auch immer, geschrieben habe. Mit meist saarländischen Ortsnamen wurden Reizthemen ironisch aufzuspießen versucht. Darunter waren auch Erinnerungen an das Pferdefleisch und die Flieger-Linsen.(8)
... Hier drei Kostproben:
Im Spätsommer ´47 hatten wir einen vollen Düppenweiler in Roßbach gefüllt worden war. Einer wollte mir das (Pferde-) Fleisch abholen. Ich bin aber nicht aus Gennweiler. Ich bin aus Hau-Stadt. Ich sagte zu ihm: Da muss du schon Besserringen können.
Ich habe garnicht gewußt, das auf dem Linsler-Hof ein Flugplatz ist. (Fleißige Käferchen hatten (vor 1947) die Extra–Linsen ausgehöhlt und marschierten entweder – „met de Schbelze o´mm Buggel“ – herum oder flogen gesättigt davon. Die saarländische Version von Aschenputtels Auslese hieß damals: „Was net krawwelt odda fliet, kommt ins Dibbche, ka´ma esse.“) Den „Besitzerwechsel“ zahlreicher Uhren, anlässlich des Einmarsches der Amerikaner, glaubte ich so aufklären zu können:. Die Ami´s kamen wohl nicht aus Urweiler, aber aus Han(n)weiler.
Aber auch die nach wie vor ungeklärte saarländische Situation wagte ich zaghaft aber aktuell anzutippen: Politiker haben von Erdkunde keine Ahnung. De Gaulle deutete auf einer Landkarte auf das Saarland und sagte:, „Das ist Mainz.“
JoHo aber erwiderte: Das ist Mai(mei)-land!“
(JoHo, Johannes Hoffmann, das darf ich wohl als bekannt voraussetzen, war der Vorsitzende der Christlichen Volkspartei, der CVP, und Ministerpräsident der Saarländischen Regierung und damit der Mann, der bei uns die Politik bestimmte, - soweit ihn die Franzosen ließen.)
In der Saison 1951/52 in der Bütt (im Bergmannsheim) wagte sich Robert Hör erstmals an ein aktuelles politisches Thema. Hier muss ich zur Erläuterung ganz weit ausholen, um den politischen Hintergrund auszuleuchten:
Die Verfassung des Saarlandes, die am 15. Dezember 1947 in Kraft getreten war, nicht ganz zufällig genau mit dem Ende des Hungerns) stellte eine Weichenstellung für die Politik der folgenden Jahre dar und bildete gleichzeitig durch die in der Präambel enthaltenen staatsrechtlichen Grundaussagen immer wieder den Streitpunkt der Diskussion um die politische und staatsrechtliche Zukunft des Saarlandes. (9)

In der Präambel heißt es: „Das Volk an der Saar (...) gründet seine Zukunft auf den wirtschaftlichen Anschluß des Saarlandes an die Französische Republik und die Währungs- und die Zolleinheit mit ihr, die einschließen: die politische Unabhängigkeit des Saarlandes vom Deutschen Reich, die Landesverteidigung und die Vertretung der saarländischen Interessen durch die französische Republik.“(10)
Eine sehr weit gehende und jede weitere Diskussion ausschließende Aussage. Jeder anders Denkende war damit zum Verfassungsfeind abgestempelt. Basta! Und die Sache mit der Landesverteidigung in der Präambel sollte dem Saarland schon 1951 Kopfzerbrechen bereiten. Durch diesen Passus waren die Saarländer – obwohl früher zum verachtenswerten kriegslüsternen Deutschen Reich gehörig – plötzlich formal so etwas, wie „wehrwürdig“ geworden.
Nun aber kamen ausgerechnet im Koreakrieg, der seit 1950 tobte, die Amerikaner mit den von den Chinesen massiv unterstützten Nordkoreanern, nicht zurecht.
Im Klartext: Ihnen drohte der Rausschmiss. Und da verfielen sie in ihrer Not auf ihre alten Verbündeten aus dem Weltkrieg, unter ihnen auch die Franzosen. Und die wiederum suchten ihrerseits flugs ebenfalls „Verbündete“, die ihnen die Drecksarbeit des Koreakrieges zumindest teilweise abnehmen sollten. Und sie fanden sie – in den Saarländern!
Selbstverständlich hatten diese aber 6 Jahre nach dem schrecklichen Krieg absolut kein Interesse „schon wieder zu den Waffen geeilt zu werden“.
Und nun stichelte Robert Hör in der Bütt der Neinkerjer Plätsch drauflos: Es Saarland wird jedzt de Koreakriech entscheide. De JoHo schickt e Wunderwaffe. – Absolut tödlich. - 40 Meßdiener! - Doo lache sich die Chinese (!) kabutt.
Der politische Witz hatte in der Bütt der „Plätsch“ Einzug gehalten, Material war genügend vorhanden. Da stand zum Beispiel die „Epuration“, die französische Form der Entnazifizierung, an. Der „Persilschein“ wurde zum festen Begriff. Und es gab Ungereimtheiten, wie bei jeder Wende.
Adolf Anken, selbst durch stillschweigende Übernahme aus der HJ in Abwesenheit (Militäreinsatz in Rußland) Mitglied der NSDAP geworden, erzählte von seiner Entnazifizierung in der Bütt:
„Doo hann se mich in das Entnazifizierungsbüro vorgelaadt, wo der Entnazifizierungsbeamte hinner sei´m Entnazifizierungsschreibdisch gehuggt hat. Froot der mich, grimmelwiedisch: „Waren sie Mitglied der NSDAP?“ - „Joo!“ saat ich - „onn eichent- lich bin ich ´s noch, awwer Du kommscht jo nemmeh kassiere.“

Eigenartigerweise blieben alle diese Aussagen ohne spürbare Zuckungen der öffentlichen Hand, obwohl immer wieder fleißig mitschreibende ungebetene Gäste in den Kappensitzungen gesichtet worden sind. Das sollte sich aber leider bald ändern.
 
Quellennachweis:
  1. Rainer Müller „Unser Faasenach“, (c) by Buchverlag Saarbrücker Zeitung, 1984
  2. Karlfried Müller „Met de Bitt dorch Neinkerje“ Seite 12, (c)1994 by Sparkasse Neunkirchen
  3. ebendort
  4. ebendort
  5. Festschrift zur Ausstellung „Eisen und Stahl“ in Neunkirchen, 1952, Seite 23
  6. ebendort, Seite 57
  7. Festschrift des NKA „4x11 Jahre 1952 – 1996“, Seite 17
  8. Karlfried Müller „Met de Bitt dorch Neinkerje“, Seite 16, (c) 1994 by Sparkasse Neunkirchen
  9. Hanne Tischleder, „Die Saarabstimmung von 1955 und der Karneval“, Seite 32,, Staatsexamensarbeit gestellt von Professor Rainer Hudemann, Lehrstuhl für. neuere und neueste Geschichte, Universität des Saarlandes.
  10. „Verfassung des Saarlandes“ vom 15. Dezember 1947, Seite 20, PRÄAMBEL, Seite 20, Druck Saarländische Verlagsanstalt und Druckerei (Zwangsverwaltung), Saarbrücken 3, Ursulinenstraße 1
  11. Hanne Tischleder, „Die Saarabstimmung von 1955 und der Karneval“, Seiten 61–64, Staatsexamensarbeit gestellt von Professor Rainer Hudemann, Lehrstuhl für neuere und neueste Geschichte, Universität des Saarlandes.
  12. ebendort, Seite 64
  13. Karlfried Müller in „75 Jahre Stadt Neunkirchen“, Seite 87, Herausgegeben von der Kreisstadt Neunkirchen
  14. Hanne Tischleder, „Die Saarabstimmung von 1955 und der Karneval“ Seite 51, Staatsexamensarbeit gestellt von Professor Rainer Hudemann, Lehrstuhl für. neuere und neueste Geschichte, Universität des Saarlandes.
  15. Karlfried Müller „Met de Bitt dorch Neinkerje“, Seite 30, (c) 1994 by Sparkasse Neunkirchen
  16. ebendort, Seite 24
  17. ebendort, Seite 22
  18. ebendort, Seite 21
  19. ebendort, Seite 21
Karlfried Müller
– Ende Teil 2 –