Historischer Verein
Stadt Neunkirchen e.V.

Historischer Verein Stadt Neunkirchen e.V.

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Entwicklung der Verbrennungsmotoren
bis zum Großgasmotor im Eisenwerk Neunkirchen
von Dieter Schmidt – 3. und letzter Teil
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Bild 12: Der Körting-Motor Type „M“
w) Magnetapparate; x) Flansch für Abreißhebel und Zündstift;
y) Gestänge der Abreißhebel. Körtings M-Motor hat zu seinen am besten gelungenen Konstruktionen gehört. Der Motor hat während zweier Jahrzehnte den Hauptbestandteil der Motorlieferungen der Firma Körting ausgemacht. Das Bild zeigt den 160 PS-Motor.

Bild 13: Ernst Körtings doppeltwirkender Zweitaktmotor (1900) Leistung 500 PS bei 100 U/min

Bild 14: Horizontalschnitt und Zylinderschnitte des Motors Bild 15
a,a1) Einlaßventile; b) Gaspumpe; c) Luftpumpe; e) Stirnkurbel für b und c; f) Antriebstange der Kolbenschieber; g) Kolbenschieber der Gaspumpe; i,i1) Gasleitungen; k,k1) Luftleitungen; l) Auspuffschlitze; m) Auspuffleitung; n) Prallflächen; o) Nockenwelle; q) Flachregler;
r) Exzenter
Bild 15: Modellvorgänger der alten Maschine „Fünf“
Aber auch die ständig modernisierenden und immer schneller wachsenden Hüttenwerke erkannten, dass die Gasmotoren ihnen die Lösung einiger Probleme bescheren könnten. Die Werke verlangten nach Maschinen großer Leistung, mit denen die anwachsenden Mengen Koks- und vor allem Gichtgas auf direktem Wege in elektrische Energie oder den zum Verhüttungsprozess benötigten Hochofenwind umgewandelt werden konnten. Zuerst aber musste das Problem der Entstaubung des Hochofengases auf zufriedenstellende Weise gelöst sein. Daher wurde im Jahre 1895 ein kleiner Versuchsmotor der Deutzer Gasmotorenfabrik im Betrieb des „Hörder Bergwerks- und Hüttenverein“ installiert. Gleichzeitige Versuche zur Entwicklung eines Gasreinigungsverfahrens erbrachten ermutigende Ergebnisse und nach einer verhältnismäßig kurzen Erprobungszeit konnten sämtliche Vorgaben als erfüllt gelten. Eugen Langen, der auch dem Aufsichtsrat der Hütte angehörte, erlebte das erfolgreiche Ende der Versuche nicht mehr. Er starb im Okt. 1895, fast 5 Jahre nach dem Erfinder des Viertaktmotors. Ottos Tod im Januar 1891 hatte ihn, bedingt durch die Querelen um seine Erfindung, nur 59 Jahre alt werden lassen.
Die Werkstätten und Fabrikationsanlagen der Deutzer Gasmotorenfabrik genügten nicht den Anforderungen an den Großgasmaschinenbau. Dadurch sah sich die Firma gezwungen ihre Arbeit auf diesem Gebiet einzustellen. Die endgültige Einstellung ihrer Entwicklungsarbeit erfolgte allerdings erst im Jahre 1908. Sie wandte sich wieder ganz dem Bau kleiner und mittlerer Motoren zu. Ihre bis dahin gesammelten Erfahrungen mit Großgasmaschinen gab sie kostenlos an ihre Lizenznehmer weiter, ungewöhnlich für die damalige Zeit. Die von Otto und Langen gegründete Firma stellt immer noch moderne Verbrennungsmotoren her, jedoch heißt der älteste Motorenbauer der Welt heute „Deutz AG.“; nach einer letzten Namensänderung am 1. Januar 1997.
Einer ihrer damaligen Lizenznehmer war die Firma Ehrhardt & Sehmer in Saarbrücken-Schleifmühle. Die seit dem Jahre 1876 im Bergbau- und Eisenhüttenbereich tätige, renommierte Maschinenfabrik hatte zwei Viertakt-Großgasmaschinen im 1903 erbauten Gasgebläsehaus des Neunkircher Eisenwerks (NE) aufgestellt. Es handelte sich dabei um die Gebläsemaschinen mit den werksinternen Bezeichnungen: Maschine Nr. „Drei“ und Nr. „Vier“. Leider sind sie bei der 1983 erfolgten Stillegung des Hochofenbereichs zerstört worden. Ein denkmalgeschützter Großgasmotor von Ehrhardt & Sehmer aus einer ähnlichen Baureihe befindet sich aber noch auf dem Gelände der Halberger Hütte.
Die heute noch erhaltene Maschine „Fünf“ ist eine Zweitakt-Großgasmaschine der Siegener Maschinenbau AG, kurz Siemag. Dieser Hersteller war Lizenznehmer der Firma Gebr. Ernst und Berthold Körting aus Hannover. Der bekanntere der beiden Brüder, Ernst Körting (1842-1915) hatte die Technische Hochschule (Polytechnikum) in seiner Geburtstadt Hannover besucht und diese bereits als 22jähriger in der Fachrichtung Eisenbahnwesen abgeschlossen. Nach einigen erfahrungsreichen Berufsjahren im Ausland, meist in Italien, England und Schottland, baute er mit seinem Bruder 1871 einen eigenen Betrieb in seiner Heimatstadt auf. In seinem Fachbereich gehörte er durch die eigene Entwicklung von Strahlpumpen in kürzester Zeit zu den führenden Fabrikanten. Nach der Erfindung einer Formgussmaschine für Heizungsrohre wurde er bald der größte Hersteller auf diesem Gebiet. 1881 als die Fabrik nach 10 Jahren auf einen Mitarbeiterstand von 1300 aus anfänglich 2 Personen angewachsen war, reizte Ernst Körting die große Herausforderung, welche in der Entwicklung der neuen Verbrennungsmotoren steckte. Mit der Hilfe des Ingenieurs Georg Lieckfeld, der von der „Hannoverschen“ (später Hanomag) zu Körting wechselte, konstruierte er recht erfolgreich Gasmotoren. Zuerst baute er nur Zweitakter, später nach dem Erliegen des Viertakt-Patents von Otto (DRP 532) wandte er sich auch dem Viertaktprinzip zu. Bild 12 zeigt eine Körting-Maschine, damals einer der größten Motoren, der mit einem Tauchkolben ausgerüstet war. Die Körtingsche Maschinenfabrik in Hannover war auf dem Gebiet des Strahl-Anlagenbaus und mit dem Bau kleiner und mittlerer Gasmotoren erfolgreich tätig gewesen, bevor sie sich nun auch auf dem Sektor der Großgasmaschinen versuchte. Die Erfolge stellten sich allerdings nicht in dem erhofften Maße ein, so dass sich Ernst Körting nicht allzu weit vorwagte. Nach dem vergeblichen Versuch, mit Viertaktmaschinen besser ins Geschäft zu kommen, scheint er das Kapitel abgeschlossen zu haben und ist als Hersteller von Großgasmaschinen selbst nicht mehr in Erscheinung getreten. Bild 13 und Bild 14 stellen einen Modellvorgänger der alten Maschine „Fünf“ dar, die als einzige von insgesamt 16 Großgasmaschinen in Neunkirchen erhalten ist. Das Alte Gebläsehaus, dessen Baubeginn auf das Jahr 1903 datiert wird, wurde bis 1912 stufenweise für die Aufnahme von fünf Maschinen ausgebaut.
Jede Gebläsemaschine war mit einem Kolbengebläse gekoppelt, welches den zum Verhüttungsprozess notwendigen Hochofenwind erzeugte. Wie bereits erwähnt, waren die beiden Viertakter „Drei“ und „Vier“ durch die Saarbrücker Maschinenbaufirma Erhardt & Sehmer aufgestellt worden. Die ersten Großgasmaschinen in der Alten Halle waren jedoch Zweitaktmotoren, die ebenfalls nach Plänen Ernst Körtings entstanden waren. Die Maschine „Eins“ wurde im Zweiten Weltkrieg beschädigt. Obwohl eine Reparatur möglich gewesen wäre, wurde die kleinste und auch leistungsschwächste Gebläsemaschine nicht wieder in Betrieb genommen. Den nun erforderlichen höheren Winddruck konnte sie nicht mehr erreichen und wurde daher verschrottet. Die Maschine „Zwei“ war mit einem großen Druckluftkompressor (Kolben) gekoppelt, der das weit verzweigte Luftnetz des Eisenwerks im Verbund mit mehreren elektrisch angetriebenen Kompressoren versorgte. Sie verfügte als Besonderheit im gesamten „Maschinenpark“ über eine luftbetriebene Signalpfeife, ähnlich der Dampfpfeife einer Lokomotive. Ihr eigentlicher Verwendungszweck war den Maschinenführern in den 1950 Jahren nicht mehr genau bekannt. Einer der letzten Maschinisten der „Zwei“, bewahrt sie heute noch als Souvenir in seiner Garage auf, glücklich sie dem „Schrott“ entrissen zu haben. Die alte, in ihren Maßen sehr ausgewogene und wunderschöne kleine Maschine war mit einer sehenswerten, mechanisch betätigten Magnet-Abreißzündung versehen, die der Entwicklung Ottos von 1884 nachempfunden war. Die Deutzer hatten kein Patent darauf genommen, daher konnte sie von jedem anderen Hersteller kopiert werden. Die Zündanlagen der späteren Großgasmotoren ähnelten der in Bild 10 dargestellten Schaltung von Karl Benz. Nur deren Hochspannungsteil wurde an den Großgasmaschinen nicht verwendet. Aus zwei verschiedenen Schaltungs-Varianten war somit eine neue, dritte Version entstanden.
Die Großgasmaschinen mussten ständig von einem Maschinisten beaufsichtigt und sorgfältig gewartet werden. Trotzdem waren die alten Großgasmotoren sehr standfest und in technischer Hinsicht den kleinen und schneller laufenden Motoren der damaligen Kraftfahrzeuge oft weit überlegen. Auf jeden Fall war die Laufleistung der in den Jahren 1903-1928 im NE erbauten Großmaschinen sehr beachtlich. Bis zur Stilllegung der Anlagen im Jahre 1983 waren die meisten der Maschinen im Dauerbetrieb gelaufen.
Heute ist von den ehemals drei Gasmaschinenhallen mit ihren insgesamt 16 Großmotoren im Bereich der Hochofenanlage nur noch wenig zu sehen. Das etwas abseits liegende Gebäude der alten Elektrozentrale an der Saarbrücker Strasse ist noch vorhanden. Jedoch sind die Maschinen mitsamt den Generatoren verschrottet worden, die Halle ist einer anderen Nutzung zugeführt. Ihre „Schokoladenseite“ ist der ehemals so belebten Strasse zugewandt, das restliche Erscheinungsbild wirkt, wie auch schon in früherer Zeit, durch den grauen Blechbeschlag etwas trostlos. Das Neue Gebläsehaus, dessen Aufbau stufenweise in den Jahren von 1912 bis 1928 erfolgte, wurde komplett abgerissen. Zum Zeitpunkt seiner Entstehung galt der Bau als sicher und zweckmäßig. Vier große Maschinen, zwei identische Paare nach dem Zwei- und Viertaktprinzip waren in der geräumigen aber schmucklosen Halle aufgebaut. Ihr Gesamthubraum (6700 l.) entspricht etwa dem 6000 moderner Kleinwagenmotoren. Im Abstand von ca. 30 m gegenüber der Hochofenreihe, waren ihre Windzylinder den Öfen zugewandt. Wo früher die Maschinen der neuen Halle dröhnend ihre Arbeit verrichteten, flankiert von der Gießerei und den Kühltürmen der Motoren, befindet sich heute das Parkdeck eines Einkaufzentrums. Von dort gelangt man über eine Fußgängerbrücke zum „Ofen 6“ und vor das Alte Gebläsehaus, welches als sehenswertester dieser alten Industriebauten gilt. Die Gebläsehalle ist allerdings nur zu drei Fünfteln mit einem einzigen Großgasmotor erhalten geblieben. Im jüngsten Hallenteil, gegenüber der „Schmelz“ des nur wenige Schritte entfernten Hochofens, befindet sich die denkmalgeschützte Maschine „Fünf“. Was diesen Großgasmotor so wertvoll macht, ist seine Einmaligkeit als einziger, erhalten gebliebener Zweitakt-Großmotor Deutschlands — möglicherweise ist er es auch weltweit. Leider könnte es in wenigen Jahren soweit gekommen sein, dass niemand mehr richtig über diese Maschinen Bescheid weiß. Nur als monumentaler Eisenklotz dazustehen, kann ihr nicht genügen. Denn sie ist ein wertvoller Zeuge der Vergangenheit, auf die unsere Zeit aufbaut. Die Geschichte der alten Maschine ist mit der Blütezeit der Neunkircher Hütte eng verbunden und dadurch ebenso mit der Entwicklung einer ganzen Region. Die Erinnerungen an diese Zeit könnten einen besonderen Unterricht in Heimatkunde, der technischen Zeitgeschichte, der handwerklichen Kunst und dem Fortschritt der vergangenen Jahrhunderte vermitteln helfen.
Bild 15 zeigt ihre Steuerseite, von der aus sieben Jahrzehnte lang die Maschinenführer den ersten Rundgang zu Beginn ihrer Schicht gestartet haben. Ganz links im Bild der Windzylinder mit den beiden Lastschiebern, die durch eine Lufthydraulik bewegt wurden. In der Bildmitte ist hinter der Schalttafel und der Zündscheibe die Steuerwelle des Zweitaktgasmotors zu erkennen. Die beiden von dort ausgehenden Stangenpaare wurden durch die Nocken der Steuerwelle bewegt, und gaben diese Steuerbewegung an die beiden mächtigen Einlassventile des Großmotors weiter. Im Bildhintergrund ist rechts das große Schwungrad zu sehen, vor dessen Schutzgehäuse das Handrad des Gasschiebers aus dem Boden der Halle ragt. Der Gasschieber ist sozusagen das „Gaspedal“ des großen Motors. Links vom Schwungrad duckt sich die Schutzhaube, unter der sich die große Kurbel der Maschine früher sausend gedreht hat. Abweichungen durch die Darstellung des Vorgängermodells, ebenfalls nach „System-Körting“, sind dabei unerheblich. Bitte beachten Sie die ungewöhnliche Form und Länge (vgl. Gleichstromdampfmaschine) des Zweitakt-Kolbens, welche durch dessen „Steuerungsaufgaben“ in dem doppelt wirkenden Motorenzylinder bestimmt wurden. Die Zeit die ich als Maschinist an der „Fünf“ verbrachte, ist in meinem Büchlein „Stahl und Wind“ ausführlich beschrieben, die Technik der Maschine ist in vielen Bildern dargestellt.
Wer daran interessiert ist mehr über die Arbeit an den alten Riesen zu erfahren, wende sich an den Historischen Verein Stadt Neunkirchen e.V..

Quellenverzeichnis:
Sass, Friedrich, Geschichte des deutschen Verbrennungsmotorenbaues von 1860 bis 1918, Berlin/Göttingen/Heidelberg, 1962.
– Ende –
Dieter Schmidt