Historischer Verein
Stadt Neunkirchen e.V.

Historischer Verein Stadt Neunkirchen e.V.

Evakuierung von Neunkirchen/Saar
nach Berghofen bei Battenberg/Eder 1944–45
2. und letzter Teil – von Gerhard Buch
 
Situation auf dem Hauptbahnhof in Neunkirchen während des Krieges. Quelle: Grünbaum – Archiv H. Schwenk
Kriegsende und Besatzungszeit.
Der Winter war vorbei. Das Frühjahr begann. Die feindlichen Fronten rückten immer näher auf Deutschland zu. An einem Nachmittag, an den Monat und an die Woche kann ich mich nicht mehr erinnern, kam von Osten her, ein Fahrzeug der deutschen Wehrmacht in den Hof gefahren und nahmen in der Scheune Quartier. Als ein Soldat kurz die hintere Plane hochhob, sahen alle die im Hof standen, dass das Fahrzeug beladen war mit Lebensmitteln und Wolldecken. Meine Mutter fragte einen der Soldaten, woher sie kamen und der Soldat erklärte ihr, das sie an der Ostfront waren und sie sich jetzt nach Westen absetzen würden, um nicht bei den Russen in Gefangenschaft zu kommen. Meine Mutter fragte ihn, ob er nicht für die Kinder, Schokolade oder Süßigkeiten abgeben könnten, Aber er sagte, das dürfe er nicht. Morgens in aller Frühe, wurde ich durch Alarmrufe geweckt. Ich hörte wie die Soldaten in ihr Fahrzeug sprangen und eilig wegfuhren.
Später weckte mich meine Mutter. Ich hörte Frau Stever unten im Haus zetern und jammern und mit ihr zusammen, gingen wir in den Luftschutzkeller des Hauses. Auch Andrä musste mit. Als wir die Kellertreppe hinuntergingen, hörte ich wie die Leute auf der Dorfstrasse sich zuriefen: „die Amis kommen.“ Frau Stever schickte meine Mutter noch einmal in unsere Wohnung. Sie sollte an einem Fenster zur Strassenseite, ein weisses Leintuch hinaus hängen, was meine Mutter auch tat.
Meine Schwester und ich gingen kurz vor die Haustüre. Auf der Dorfstrasse sahen wir Leute Richtung Battenberger Landstrasse laufen. Meine Schwester fragte: „wo geht ihr hin.“ Sie antworteten dass an der Landstrasse im Chausseegraben, ein Fahrzeug mit Lebensmitteln liegen würde und die nach Battenberg ziehenden Amis würden sich nicht darum kümmern. Meine Schwester nahm mich an der Hand und wir liefen mit. Als wir in die Nähe des Fahrzeuges kamen, erkannten wir, es war das Fahrzeug der Soldaten die bei uns Quartier genommen hatten. Auf der Landstrasse fuhren ein Ami Panzer nach dem anderen langsam auf die Stadt Battenberg zu. Auf dem Panzer saßen Soldaten. Ich sah zum ersten mal einen Schwarzen. Die Soldaten winkten und riefen uns lachend etwas zu. Diese Rufe galten mehr, meiner damals 21-jährigen Schwester. Auf ein Zeichen des im ersten Panzer stehenden Kommandeurs blieb die Panzerkolonne stehen und mehrere Panzer schossen in Richtung Battenberg. In einem Wäldchen, auf einem Hügel links der Strasse, hörte man Rufe und einzelne Schüsse fallen.
Die Leute um das deutsche Fahrzeug kümmerte dies nicht. Sie plünderten das Fahrzeug leer. Auch meine Schwester sprang auf den Wagen, nahm mir meine Wollmütze vom Kopf und gab sie mir voll gefüllt mit Bohnenkaffee zurück. Über die Schulter hatte jeder von uns eine Wolldecke liegen und die Taschen unserer Kleidung waren gefüllt mit Schokolade und Süßigkeiten. So beladen gingen wir unter Gejohle und Winken der amerikanischen Soldaten ins Dorf zurück. Im Haus angekommen, gaben wir die Sachen meiner Mutter, die alles in unsere Wohnung trug.
Die Amerikaner bauten in der Nähe von Berghofen ein Zelt auf, und von dort kamen die Befehle. Im Ort selbst waren sie kaum zu sehen. Nur eines Tages kamen mehrere schwerbewaffnete Soldaten ins Dorf, durchsuchten in jedem Haus die Zimmer, die Schränke, die Truhen und suchten auch unter den Betten nach deutschen Soldaten. Bei uns war nichts zu finden. Vom Küchenfenster aus sah ich, dass auf dem Dorfplatz alle gesammelt wurden, die eine Funktion in der Partei hatten. Sie wurden auf amerikanische Fahrzeuge verladen und weggebracht. Einige Tage später wurde auch Andrä abgeholt. Andrä wollte eigentlich nicht mitgehen. Aber es half alles Bitten und Flehen nicht. Es war wie ich schon vorher geschrieben habe, ein Abschied mit Heulen und Umarmungen.
Danach kam von den Amerikaner der Befehl, dass jeder Hof je nach Größe, Brot, Kartoffeln und sonstige Lebensmittel zum Back- und Waschhaus des Dorfes bringen musste. Diese Abgaben waren für das Sammellager der ausländischen Gefangenen, die von den Amerikanern dort hin gebracht worden waren. Da die Bauersfrau seit Einzug der Amerikaner aus Angst nicht mehr vor die Tür ging, stellte sie meiner Schwester und mir den Handkarren zu Verfügung und bat uns, die Sachen zum Backhaus zu bringen. Ohne von den Gefangenen Ausländern beleidigt worden zu sein, brachten wir den Karren wieder zurück.

Unsere Rückfahrt aus der Evakuierung
Der Krieg war zu Ende. Meine Mutter wollte nicht warten, bis ein offizeller Rücktransport der Evakuierten aufgerufen wurde. Sie erkundigte sich nach Verbindungen Richtung Frankfurt und eines Tages packten wir unsere Sachen, der Abschied war kurz und ab ging es zum Bahnhof Allendorf. Die Zugverbindungen waren immer noch miserabel und mit öfterem Umsteigen erreichten wir die Stadt Giessen. Dort auf dem Bahnhof kamen viele Familien zusammen, die den selben Beschluß gefasst hatten wie meine Mutter. Mit einem Kohlenzug, oben auf dem Kohlenwaggon, fuhren wir von Giessen bis Mannheim. Auf dem Bahnhof dort, wurden wir von amerikanischen Soldaten aufgefordert eine Kolonne zu bilden und sie führten uns in ein Gebäude. Meine Mutter sagte zu mir „die wollen uns entlausen.“ Ich konnte mir noch nicht vorstellen was das sein sollte. Wir mussten uns nackt ausziehen und durch eine Dusche gehen. Als ich Männer sah, die eine grosse Spritze in der Hand hielten, fing ich an zu schreien. Wie meine Schwester mir später erzählte, hätte ich die amerikanische Sanitätssoldaten angeschrieen „Wir sind saubere Leute, wir haben keine Läuse.“ Aber alles schreien und zappeln half nichts. Sie sprühten mit ihren Spritzen ein weisses Pulver über unseren Kopf und Körper. Nach dieser Entlausung, bekam meine Mutter eine Bescheinigung und man brachte uns zum Mannheimer Wasserturm, um dort zu übernachten. In einem grossen Raum standen viele Betten nur durch einen kleinen Gang voneinander getrennt. Viele Männer waren dort in zerlumpten Kleidern, unrasiert sahen sie zum Fürschten aus. Wir drei bekamen jeder ein Bett nebeneinander zugewiesen und da ich einen harten Tag (Entlausung) hinter mir hatte, schlief ich direkt ein. Meine Schwester sagte mir später, dass meine Mutter die ganze Nacht wach war, sie hatte Angst uns würde von den wenigen Sachen, die wir besassen, noch etwas gestohlen.
Früh am Morgen weckte mich meine Mutter, wir packten alles zusammen und es ging in Kolonnen Richtung Rhein. Vor einer Brücke war ein kurzer Halt. Es war eine Eisenbahnbrücke. Meine Mutter erklärte mir, ich solle von Schwelle zu Schwelle über die Brücke gehen. Sie nahm mich an der Hand und, so wie sie es gesagt hatte, ging es über den Rhein. Obwohl es noch nicht ganz hell war, konnte ich zwischen den Schwellen, tief unter mir das Wasser des Rheines schimmern sehen. Auf dem Bahnhof Ludwigshafen stand ein Personenzug der Richtung Saarland fuhr. Von dieser Fahrt bekam ich wenig mit, Im Abteil lehnte ich mich an meine Mutter und schlief auf der Rückfahrt. In Neunkirchen angekommen, wurden wir von meinem Vater erwartet. Er hatte, als er die Nachricht bekam, dass wir nachhause kommen würden, eine Wohnung gesucht. Das Mietshaus, in dem wir gewohnt hatten, war durch Brandbomben zerstört worden. Wir bekamen im Kaufhaus Raber, am Hüttenberg in der 2. Etage eine Wohnung. Auf einem der ersten Feste, lernte meine Schwester, einen aus der Gefangenschaft heimgekehrten Soldaten kennen. Sie heirateten und1946 zogen wir mit den beiden in ein Siedlungshaus in Furpach, das mein Schwager vor dem Krieg gebaut hatte.

Nachtrag:
Hier möchte ich erwähnen, das meine Schwester Frau Erika Petri mich beim Schreiben der Erinnerung mit ihrem Wissen aus dieser Zeit unterstützt hat.
– Ende –