Evakuierung von Neunkirchen/Saar | ||
nach Berghofen bei Battenberg/Eder 1944–45 | ||
– Teil 1 – von Gerhard Buch | ||
Die Luftangriffe auf Neunkirchen 1943/44. Ab 1938 wohnte meine Familie zur Untermiete im Haus Biehl in der Ritzwiesstrasse, gegenüber der Bäckerei Wittmann. Im in der Überschrift angegebenem Zeitraum verstärkten die Alliierten ihre Luftangriffe auf deutsche Städte. Auch nachts wurde angegriffen. Zuerst suchten die Hausbewohner Schutz im hauseigenen Luftschutzkeller. Dies reichte vorerst aus da, wie man hören konnte, die Bombenabwürfe noch weit entfernt vom Haus stattfanden, etwa Richtung Bahnlinie, nördliches Eisenwerk etc. Als nach weiteren Angriffen meine Mutter beim Einkaufen die ersten zerstörten Häuser sah, fand sie den Luftschutzkeller in unserem Mietshaus auch nicht mehr so sicher. Deshalb liefen wir bei jedem Voralarm zum Bunker am Karl-Ferdinand-Haus. Eines Nachts, die Sirene meldete Alarmende, lief ich aus dem Bunker zur jetzigen Pasteurstrasse und stand vor einem brennendem Haus. Für mich als Vierjähriger ein Erlebnis. Ein Luftschutzmann, der mich dort entdeckte, schrie mich an, ich soll sofort hier verschwinden. Ich lief in den Bunker zurück und bekam auch noch Vorwürfe von meiner Mutter. Sie sagte zu mir: „Es ist viel zu gefährlich aus dem Bunker zu laufen.“ Wir wurden Evakuiert: Immer öfter kamen Luftangriffe. Immer öfter gings zum Bunker. Eines Tages kam mein Vater nach Hause vom „Roten Kreuz Dienst“ den er nach seiner Arbeit beim Neunkircher Eisenwerk, freiwillig an der Verbandsstelle des Neunkircher Bahnhofs ableistete und sagte uns, dass er einen Antrag auf Evakuierung gestellt habe, für meine Mutter, meine ältere Schwester und mich. Es kam der Tag der Abreise. Meine Mutter und meine Schwester hatten vorher schon alles Notwendige zusammengepackt. Dann ging es zum Bahnhof. Ich bekam ein beklemmendes Gefühl, als wir dort von einem Bahnbeamten, zu einem Güterwaggon, anstatt zu einem mir bekannten Personenwaggon geführt wurden. In dem Waggon selbst standen, je nach Anzahl der Familienmitglieder, in jeder Ecke übereinander gebaut Betten, so dass in diesem Waggon mehrere Familien untergebracht werden konnten. Von der Fahrt selbst bekam ich nicht viel mit. Nur einmal hob mich meine Mutter hoch zu ihr in das oberste Bett, in dem sie schlief, öffnete dort eine Schiebeluke und ich konnte sehen, dass wir gerade einen Fluss überquerten. Auch hörte ich einmal die Lokomotive schrill pfeifen und nach kurzer Zeit hielt der Zug an. Meine Mutter öffnete die Luke und sagte zu uns: „Wir stehen in einem Tunnel, darin hat der Lokführer bestimmt Schutz gesucht, um einem Fliegerangriff auszuweichen.“ Ankunft am Zielbahnhof und am Evakuierungsort. Zielbahnhof der Fahrt war Allendorf (Eder.) Hier fand die große Verteilung an die einzelne Ortschaften der Umgebung statt. Bedauerlich war es, dass Bekannte nicht in den gleichen Ort kamen. Meine Tante Anna kam nach Ober-Asphe, wir nach Berghofen, was meine Tante gar nicht gut fand. Vor dem Bahnhof standen Lastkraftwagen, Fuhrwerke mit Traktoren oder von Pferden gezogen und auch Handkarren, auf die unser Gepäck und auch wir verladen wurden. Auch viele Leute als Zuschauer standen vor dem Bahnhof. Als wir auf die uns zugeteilten Fahrzeuge zugingen, fielen aus der Masse Schimpfworte, wie Saarfranzosen, Bettelvolk oder auch Zigeuner. Wir kamen auf einen Lastkraftwagen mit Plane, der uns zu dem Dorf Berghofen bei Battenberg (Eder) brachte. Auf dem Dorfplatz wurden wir an die aufnehmenden Familien verteilt. Diese hätten sich gern unter uns aus-gesucht, wer zu ihnen passte. Der Ortsgruppenführer hatte aber eine fertige Liste, nach der verteilt wurde. Wir drei kamen zu einer Frau Stever und deren schulpflichtigen Tochter Leni, auf einen Familienbauernhof. Meine Mutter und meine ältere Schwester bemerkten sofort, dass wir keine willkommenen Gäste waren. Sie misstrauten uns und waren dazu noch geizig. Das bemerkten wir daran, weil im Haus alle Zimmer, besonders die Speise- und Räucherkammer immer verschlossen waren. Auch als nach der Eingewöhnungszeit, meine Mutter und Schwester bei der landwirtschaftlichen Arbeit halfen, bekamen sie nicht einmal etwas aus der Räucherkammer. Der Viehbestand des Hofes waren 2 Milchkühe (die auch als Gespann für die landwirtschaftlichen Geräte gebraucht wurden,) ein Rind, 2 Schweine (wobei eines gezüchtet werden musste, zur Abgabe an die Wehrmacht,) sowie freilaufende Hühner. Zum Hof gehörten auch noch verstreut liegende Felder und Wiesen. Meine Mutter, meine Schwester und ich bekamen von der Bauersfrau, 2 Zimmer in der ersten Etage des Hauses zugewiesen. Der eine Raum war Küche und Aufenthaltsraum, der andere unser Schlafzimmer. Da der Ehemann von Frau Stever zur Wehrmacht eingezogen war, wurde der Frau zur Hilfe in der Landwirtschaft, ein älterer gefangener Russe, mit dem Namen Andrä zugeteilt. Er war bei unserer Ankunft schon im Haus und hatte eine kleine Kammer auf dem gleichen Stockwerk wie wir. Wie ich die Zeit während der Evakuierung verbrachte: Mein Spielplatz war die Scheune. Oft kletterte ich die Leiter zum Heuspeicher hoch und beobachtete von dort das frei herumlaufende Hühnervolk. So sah ich auch, dass einzelne Hennen ihre Eier hinter die Strohbürden legten, die an der Scheunenwand standen, anstatt in die Legekästen im Kuhstall. Ich stellte fest, dass keiner, nicht Frau Stever und auch nicht ihre Tochter Leni wusste, dass die Hühner dort Eier legten. Ich verteilte die Eier in alle Taschen meiner Kleidung und brachte sie meiner Mutter. Meine Mutter nahm die Eier und ermahnte mich vorsichtig zu sein mit den Worten: “Lass dich nicht von den Hausleuten erwischen, sonst sagen sie noch, wir würden stehlen.“ Am Wochenende nahm mich meine Mutter mit zum Einkaufen mit Lebensmittelmarken. In Berg hofen selbst war eine Bäckerei und eine Metzgerei, (die Haupteinahmen des Metzgers waren die Hausschlachtungen.) Werktags kaufte meine Mutter im Dorf. Vom Bäcker bekam sie oft ein Brot und vom Metzger ein Stück Fleisch ohne Marken. Da die Auswahl an Lebensmitteln im Dorf gering war, gingen wir samstagsmorgens, die 3 Kilometer Landstrasse nach der Stadt Battenberg (Eder) und kauften dort noch ein. Am Mittag ging es wieder zurück. Meine erste nähere Bekanntschaft mit dem russischen Gefangenen Andrä, kam schon kurz nach unserer Ankunft zustande. Als Andrä eines Morgens die Kühe an den Wagen spannte, um aufs Feld zu fahren, bat ich meine Mutter, den Andrä zu fragen, ob ich mitfahren dürfe. Andrä sagte zu und hob mich vorne auf das Brett am Wagen, auf dem er dann noch als Wagenlenker seinen Platz einnahm, und es ging hinaus aufs Feld zur Rübenmiete. Kaum waren wir auf dem Feld angekommen, hörten wir das Motorengeräusch eines Flugzeuges. Andrä schaute aus welcher Richtung das Flugzeug kam und wir gingen hinter der Rübenmiete in Deckung. Andrä legte sich dabei schützend über mich. Das Flugzeug entfernte sich wieder und Andrä erklärte mir, in gebrochenem Deutsch „Ware nur eine Aufklärer.“ Wir luden dann die Futterrüben auf den Wagen und fuhren zum Hof zurück. Ich erzählte meiner Mutter das Andrä mich beschützt hatte und sie sagte: „Ja, der Andrä ist ein guter Mensch.“ Ich fuhr von da an immer mit aufs Feld. Zum Heu machen, als die Getreideernte war, (das zum Teil in der Scheune von Hand gedroschen wurde), zum Kartoffel setzen und ausmachen, sowie zum Einsäen des Getreides Ich stand dabei, als eines von den Schweinen, von Soldaten gewogen und abgeholt wurde. Es wog 2 Zentner. Das andere Schwein im Stall, wurde so gemästet, das es am Tag der Schlachtung 4 Zentner wog. Da es so dick und fett war und nicht mehr selbst laufen konnte, wurde es mit den Kühen aus dem Stall und auch in die Mulde gezogen. Meine Mutter sagte dem Metzger, das wir von der Wurstsuppe, uns einen Topf voll holen durften, da stach er mit der Messespitze mehrere Würste kaputt. Dann kam der Winter 1944/45. Die Bäuerin wurde aufgefordert uns Brennholz abzugeben zum Heizen. Da Andrä in seiner Kammer keinen Ofen hatte, sagte meine Mutter zu ihm: Er solle nach seiner Arbeit, zu uns in die Küche kommen, seinen Tabak schneiden und sich etwas aufwärmen. Andrä bedankte sich sehr bei meiner Mutter und als er bei Kriegsende auf Befehl der Amerikaner weg musste, verabschiedete er sich mit Tränen und Umarmungen von uns. In diesem Winter kam von Neunkirchen mein Vater zu seinem zweiten Besuch zu uns. Er berichtete uns, das in Neunkirchen schon viele Häuser zerstört wären und dass Neunkircher Eisenwerk durch die Bombenabwürfe so beschädigt sei, das es stillgelegt wurde, und er nur beim „Roten Kreuz“ am Bahnhof noch Arbeit hätte. Noch bis in die späten Abendstunden wurde geredet. Für mich hat mein Vater einen aus Holzbrettern gezimmerten Schlitten mitgebracht. Er machte mir damit in diesen Zeiten ein sehr schönes Weihnachtsgeschenk. | ||
– Ende Teil 1 – | ||
Gerhard Buch |