Historischer Verein
Stadt Neunkirchen e.V.

Historischer Verein Stadt Neunkirchen e.V.

Die Neunkircher Fastnacht
nach dem Krieg und in den Fünfziger Jahren
von Karlfried Müller - 3. und letzter Teil
 
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Straßenkehrer Ben Böckle. Die Zunft hatte 1953 noch keine Uniformen. Trotzdem „O Du mein Neunkirchen…
Bild Kf. Müller
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Gemeinsame Sessionseröffnung am 12. 01.1956 in der TuS-Halle. Garden- und Fanfarenzug der Funken; Gardistinnen und Gardisten der Plätsch auf der Bühne. Bild Kf. Müller
1953 waren die Machthaber nämlich dünnhäutiger geworden, Das für 1955 vorgesehene Referendum warf seine Schatten voraus. Den „prodeutschen Parteien“ wurde die Zulassung versagt. Sie arbeiteten in der Illegalität.
In dieser Zeit war denn auch mancher Büttenredner der Fastnacht unversehens zur APO, zur außerparlamentarischen Opposition geworden. Irgendwo musste der Druck ja schließlich raus. Die politische Haltung der Büttenredner reichte von stramm rechts und unbelehrbar bis – und das muss betont werden, durchweg in Neunkirchen - demokratisch verantwortungsbewußt, aber kritisch. Die Büttenreden strotzten vor Anspielungen, verdeckten natürlich. Das hatte man noch vom 3. Reich her drauf. Die Notwendigkeit zur Wahl solcher Mittel war eigentlich beschämend. Aber sie hat aber auch manche geschliffene Pointe gebracht, die in „satteren“ Zeiten undenkbar gewesen wäre.
Vor der Landtagswahl Ende November 1952 verdichtete sich die Tätigkeit der „Illegalen“.
Die Empörung über die „undemokratischen Zustände“ führte zur Aufforderung der illegal tätigen Opposition, die von dem Trierer Bischof Mathias Wehr, von der den Autonomiegedanken ablehnenden Oppositionsgruppierung IV Bergbau um Paul Kutsch - neben zahlreichen anderen - unterstützt wurde, an die Wähler „weiße“, das heißt ungültige, Stimmen abzugeben, um so die Unterdrückung der prodeutschen Opposition massiv deutlich zu machen.(11)
Die Landtagswahl wurde mit 22,8% ungültigen Stimmen nicht so „weiß“, wie von der „Opposition im Untergrund“ erwartet, aber weiß genug, um die Regierenden ins Schwitzen zu bringen.
Und genau in dieser Situation haben dann am 31. Januar 1953 Werner Schmitz und Robert Hör in der Gala-Kappensitzung der „Neinkerjer Plätsch“ die Figuren von „Serenissimus und Kindermann“, einem etwas vertrottelten Adeligen und seinem gewitzten Sekretär, aufgegriffen. Die Rede war im Programmheft als „völlig unpolitisch und beinahe demokratisch“ angekündigt.(12) Und dann ging es – fast prophetisch.- weiter im Text: „Jupp (Werner) Schmitz und Robert Hör reflektieren über einen dreimonatigen Erholungsurlaub auf der Lerchesflur. Zigarettenspenden schon jetzt erbeten.“ Sie sollten fast Recht behalten. JoHo und Innenminister Hector wurden (für heutige Verhältnisse behutsam) auf die Schippe genommen. Aber schlimmer war wahrscheinlich, dass man die „Weiße Wahl“ verdeckt kommentierte.
Der geborene Saarländer (Rotpäßler) Robert Hör wurde „aus dem Dienst der Post- und Telegraphenverwaltung des Saarlandes entlassen“(13). Der eingeheiratete Zugezoone (Graupäßler) Werner Schmitz wurde mit der Androhung der Ausweisung aus unserem „zu lobenden Land“ bedacht. Der Präsident des NKA, Peter Geib, wetterte daraufhin beim Abschluß des Rosenmontagszuges 1953 öffentlich über die Lautsprecher auf dem oberen Markt: „Wehe dem, der seinem Hofnarren das Maul verbietet.“ Er musste sich hurtig in die Gaststätte Burgkeller absetzen, wo er gegen den Zugriff der Polizei von Gardisten (der Roten Funken) und Gardistinnen (der Plätsch) und den „Massen“ der Elferräte abgeriegelt wurde. Mehr Glück hatte Kurt Böckle. Er durfte 1953 ungestraft in seiner Rede, als „Der erste europäische Gasmann“ verkünden: „Ich bin der erste europäische Gasmann. Wenn ich Gas hann, kenne ich keine Grenzen mehr“!
Auch seine Erzählung aus dem Alltag des Gasmannes blieb ungeahndet: Ich hann bei ääm abgelääs, der hat nur franzeesich geschwädzt. Do hann ich zum gesaat: Schwädz deitsch. sonschd schreib ich dir 3 Kubiggmeeda meh off´.
1952 war im Januar das Hohe Kommissariat (Gilbert Grandval, war Hoher Kommissar) aufgelöst und statt dessen eine französische Botschaft unter der Leitung von Grandval eingerichtet worden. Diese Umgestaltung der französischen Präsenz im Saarland stellte eine erneute Demonstration der französischen Absicht dar, die Realisierung eines autonomen Saarstaates voranzutreiben...
Trotzdem durfte Adolf Anken, 1954 angesichts der neu erbauten französischen Botschaft in Saarbrücken, heute Kultusministerium (an der Saaruferstraße, heute A 620) Goethes Faust zitieren und maulen: „Die Botschaft seh´ ich wohl, allein, mir fehlt der Glaube.“ Adolf Anken ist heute noch der Ansicht, dass er es lediglich dem großen Goethe zu verdanken habe, dass er ungeschoren blieb. Natürlich blieb auch Zeit für den Übermut und den Nonsens.
Kurt Böckle hatte 1952 als STRASSENKEHRER das (seit 2 Jahren wieder) rußige und verqualmte Neunkirchen schwärmerisch und sarkastisch zugleich gepriesen in seiner Ode an Neunkirchen: (15) „O, du mein Neunkirchen, wie liegst du sanft hingegossen in den Kranz deiner grünen Wälder, dort, wo die Blies ihr Knie macht, du Drecksau!“
Hans Thömmes von den Roten Funken, hatte den mangelnden Komfort des Wohnungsbaus in Visier, als er verkündete: „Wenn mei Fraa es Fenschda offmache well, muß ich de Oowe off de Schoß holle.“(16) Gustav Schmidt aber hob auf die „Leichtbauweise“ jener Tage ab:
Uns macht´s nix, daß die Wänn von unserer Wohnung so dinn sinn. Vor uns hann se im Haus all Reschbekt. Mei Mausi macht jede Meddach de Schierhooge gliedisch. Dann tunkt´s ne in e Ääma Wasser, daß es zischt. Nohd menne alle Leit in de Wohnunge dromeromm, mir dähde jede Daach Fleisch broode.(17)
Adolf Anken kerierte mit seinem Opel P4, einem Vorkriegsauto mit Kastenaufbau und stabilem Chassis, die für mich größte Nonsensrede.
Einige Passagen haben sich in meiner Erinnerung festgefressen: „Weil ich gleich bar bezahlt hann, hat mir der Hännler noch e Ersatzrad vo´me Saddelschlebber geschenkt.“ „Am Schdummdenkmal hat sich erausgeschdellt, daß ma met dem Audo nur konnt Rechtskurve fahre. – Wa´ma links eromm fahre wollt, is de Moddor ausgang“.
„In de Tank ha´ma noch 2 Liter von unserm selbschtgemachde Abbelsaft erennge-schitt, weil der so gudd treibt,“ Obwohl mei Schwiermodder, e Fraa von 2&Mac222; Zentner, hinne gehuggt hat, ware die Vorderräder die Spieser Hohl enunner meischdens off em Boddem. Doch es zog ihn immer wieder zu den politischen Ereignissen hin. 1956 schaute er zurück auf das Referendum. Auf das, was für „Alde Neinkeijer“ als die „Schlacht am Hiddebersch“ in die Lokalgeschichte eingegangen ist: JoHo sprach im Evangelischen Gemeindehaus vor (handverlesenem Publikum, Unerwünschte wollten noch ´rein, doch die Zugänge waren abgeriegelt. (18)
Sprechchöre kamen auf. Die Masse schwoll auf Tausende an. Glas splitterte. In der Vogelstraße und am Hüttenberg erscholl das „Der Dicke muß weg!“ Jetzt ließen die da draußen ihrerseits den JoHo nicht mehr heraus. Bereitschaftspolizei, vorsorglich mitgebracht, machte daraufhin, sowohl von ihrem Ordnungsauftrag, wie auch vom Knüppel Gebrauch. Dem Landesvater wurde nachts ein Heimweg freigeprügelt, quer durch Demonstranten und Zaungäste. Er entfuhr durchs schmale „Jakobsgäßje“.
Zeuge Adolf Anken: „Am Hiddebersch kommt so e Bollezei met gezücktem Volksberuhichungsknibbel off mich zu, fixiert mich onn saat: Du schdehscht so verdächtich unbeteilicht do eromm. Ich glaab, du bischt der Spiritus HEKTOR von dem ganze Gra(nd)wall. Ich hann zum gesaat: Wer mich haut, der hat se nemmeh all. Onn doo hat er zugeschlaa.
Er muß in die Jakobstraße geflüchtet sein , denn er berichtet weiter: „Wie dann der Titelverteidicher es Jakobsgäßje enunnagefahr is, hann ich ne gefroot: Is das do jedzt die nei Ausfallschdrooß noh Saabregge?“
Es gäbe noch vieles zu berichten, aber jeder Vortrag braucht einen Rahmen und der erscheint mir bei Weitem ausgeschöpft. Darum lassen Sie mich schließen mit einer Pointe aus dem MÄRCHENERZÄHLER von (Ben) Kurt Böckle. Ben war „Ja“-Sager gewesen. Unter den vielen „Nein“-Sagern im Kreis der Büttenredner ein geachteter Partner. Das war damals gar nicht üblich in der Zeit der leidenschaftlichen (im wahrsten Sinne des Wortes) „Auseinandersetzung“. Aber die Narren in Neunkirchen schaff - ten einen humanen Konsens. Es macht mich sehr zufrieden, das miterlebt zu haben.
„Ben´s“ Pointe ist eingebettet in die politischen Ereignisse. Beim Referendum waren die saarländischen Landräte Dr. Schütz (St. Wendel), Linicus (Merzig-Wadern) und Dr. Dierkes (Ottweiler) 3 Tage vor dem Abstimmungstermin demonstrativ von Hoffmanns CVP in die CDU übergetreten. Nach der Wende wurden sie wieder Landräte. ... Landrat Trittelvitz (Homburg) war bereits 1953 in die (Bundes-) SPD übergetreten und Bundestagsabgeordneter (in Bonn) geworden. Dadurch „verlor“ er sein Amt, nach der Wende wurde er Arbeitsminister.(19)

Das faßte der MÄRCHENONKEL zusammen:
Am Schluß, liebe Kinder, erzählte der Rattenfänger von Hameln noch einen Witz, einen richtigen Witz: Kurz vor dem Kap(p) des guten Hoffmann (JoHo) verließen die Rat(t)en das sinkende Schiff. Sie waren ja auch Landrat(t)en. .. Sie erreichten sogar das rettende Ufer. Und sie wurden auch wieder Landrat(t)en. Das waren zwei Drittel von dem Witz.
Eine wurde sogar Arbeitsminister. Das war das letzte Drittel Witz (das letzte Trittelvitz).
Die Kontakte zwischen „Jupp“ Jochem, dem großen Präsidenten der Roten Funken, einem Exponenten von JoHo´s CVP und mir waren respektvoll und ausgewogen, ja fast freundschaftlich. Wenn sich auch die Vereine manchmal kappelten, wir waren immer um Ausgleich bemüht. Einen Satz von Voltaire hörte ich damals zum ersten Mal und begann, ihn zu begreifen: „Ich werde ihre Meinung bekämpfen, so lange ich atmen kann. Aber ich werde mich dafür zerreißen lassen, daß Sie sie immer und überall frei äußern können.“ Es war eine schöne, eine trotz aller Widerwärtigkeiten, hoffnungsvolle Zeit!
 
Quellennachweis:

11) Hanne Tischleder, „Die Saarabstimmung von 1955 und der Karneval“, Seiten 61–64, Staatsexamensarbeit gestellt von Professor Rainer Hudemann, Lehrstuhl für neuere und neueste Geschichte, Universität des Saarlandes.
12) ebendort, Seite 64
13) Karlfried Müller in „75 Jahre Stadt Neunkirchen“, Seite 87, Herausgegeben von der Kreisstadt Neunkirchen
14) Hanne Tischleder, „Die Saarabstimmung von 1955 und der Karneval“ Seite 51, Staatsexamensarbeit gestellt von Professor Rainer Hudemann, Lehrstuhl für. neuere und neueste Geschichte, Universität des Saarlandes.
15) Karlfried Müller „Met de Bitt dorch Neinkerje“, Seite 30, (c) 1994 by Sparkasse Neunkirchen
16) ebendort, Seite 24
17) ebendort, Seite 22
18) ebendort, Seite 21
19) ebendort, Seite 21

 
Karlfried Müller