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Gasometer vor der Explosion Foto: Archiv Schwenk |
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Nach der Explosion. Foto: Archiv Schwenk |
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Einige der völlig zerstörten Häuser. Foto: Archiv Schwenk |
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Die Schlawerieschule Foto: Archiv Schwenk |
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Die Wucht der Explosion zerstörte in einem einzigen Augenblick die Häuser vieler Familien. Foto: Archiv Schwenk |
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Fassungslos standen die Menschen vor den Trümmern. Foto: Archiv Schwenk |
Die Katastrophe
Am Freitag den 10. Februar 1933 abends wenige Minuten nach 18 Uhr
explodierte in Neunkirchen der Gasometer des Neunkircher Eisenwerks in
der Saarbrücker Straße. Das Unglück forderte 68 Tote 190 Verletzte und
verursachte Millionenschäden.
Kurz nach 18.00 Uhr tönte vom
Hüttengelände ein dumpfer Knall. Im selben Moment loderte eine riesige
Stichflamme am Gasometer empor. Nach cirka fünf Minuten kam es dann zu
einer gewaltigen Explosion. Eine Erschütterung wie bei einem Erdbeben
folgte. Der 72 m hohe Gasbehälter an der Saarbrücker Straße existierte
nicht mehr. Die Häuser in der Näher des Gasometers waren dem Erdboden
gleichgemacht, wie Kartenhäuser waren sie eingestürzt. Die Werksanlagen
waren schwer beschädigt. In panischer Angst flohen die Überlebenden und
Leichtverletzten in alle Himmelsrichtungen – nur weg von der
Unglücksstelle. Den eintreffenden Rettungskräften bot sich ein Bild des
Grauens.
Hunderte Feuerwehrleute, Sanitäter und freiwillige Helfer
versuchten an den Unglücksort vorzudringen. Die Schreie der Verletzten
tönten durch die Dunkelheit. Die Unglücksstelle wurde durch die
Pechfackeln der Helfer und durch die Flammen der brennenden Koksanlage
gespenstisch beleuchtet.
Fünfzehn Häuser waren total zerstört,
viele weitere Gebäude wurden mehr oder weniger stark in Mitleidenschaft
gezogen. Während dies alles rund um die Hütte geschah wurden auch die
Bewohner der Innenstadt in Angst und Schrecken versetzt. Man hatte auch
hier den fürchterlichen Schlag der Explosion entsetzt wahrgenommen. Bis
in die Außenbezirke waren die Straßen und Gehwege mit Glas übersäht.
Ziegel kollerten von vielen Dächern und hier und da stürzten
Schornsteine in sich zusammen. Auch hier dauerte es nur wenige Sekunden
bis die Katastrophe das ganze Stadtbild veränderte und alles in
Bewegung brachte. Geschäftsleute ließen ihre Läden im Stich, Familien
verließen ihre Wohnungen. Sie alle hatten nur eins im Sinn, möglichst
schnell und weit weg von dieser Stätte. Als dann auch noch das Gerücht
von einer weiteren Explosion die Runde machte und die Sicherheitskräfte
die vermeintlich gefährdeten Bereiche räumen ließ, hieß es für die
Menschen nur noch weit weg. Bis auf den Steinwald ergoss sich der Strom
flüchtender Menschen.
Frau Birnbacher – eine Zeitzeugin aus der
Langenstrichstraße berichtete uns über ihre Erinnerungen an diese
schrecklichen Stunden:
Freitags gab es bei uns immer Kakao und
Käse, so stand auch an diesem Tag gegen 18.00 Uhr meine Mutter am Herd
und rührte den Kakao. Mein Bruder Waldemar drei Jahre und ich sieben
Jahre standen um den Herd herum schauten zu und freuten uns auf das
Abendessen. Eigentlich waren wir schon Nachmittags auf den Geburtstag
meines Onkels Jakob Braun eingeladen, der in der Hüttensiedlung in der
Saarbrückerstraße gegenüber dem Gasometer wohnte. Doch wie es eben bei
Selbstständigen ist, wollte mein Vater Wilhelm Braun, der eine Damen-
und Herrenmaßschneiderei hatte, noch auf einen Kunden warten wegen
einer Anprobe. Dieser Umstand hat uns wohl das Leben gerettet. Jedoch
als dieser fertig war zog sich mein Vater um und wollte noch alleine
zur Geburtstagsfeier. Er hatte schon das Taxi bestellt. Plötzlich gab
es einen entsetzlichen Knall, wir wurden alle zu Boden gerissen durch
die Erschütterung und den starken Druck. Von überall hörte man Schreie
und die Sirenen heulten ununterbrochen. In unserem Haus in der
Langenstrichstraße gegenüber des St. Josef-Krankenhauses waren 29
Fensterscheiben und einige Türen kaputt. Luftlinie sind es nur wenige
hundert Meter von uns bis zum Hüttengelände.
Das Geburtstagskind
Onkel Jakob, sein Bruder Karl aus Thallichtenberg und eine Tante sowie
weitere Gäste überlebten die Explosion leider nicht. Die anderen Gäste
wurden in verschiedene Krankenhäuser transportiert. Vom St.
Josef-Krankenhaus rief man uns an und fragte, ob wir nicht unsere
Verwandten Lina Braun und ihre Tochter Ella – die Frau und Tochter des
verunglückten Onkel Jakob – bei uns aufnehmen könnten, da sie total
überfüllt seien. Meine Eltern waren natürlich einverstanden und Tante
Lina und Ella wurden zu uns rübergebracht. Ella hatte viele
Glassplitter abbekommen und meine Mutter holte ihr während der ganzen
Nacht 23 Stück mit der Pinzette aus dem Körper. Viele Verwandte aus
Neunkirchen, Thallichtenberg und sogar aus Frankfurt kamen noch in der
Nacht und am nächsten Tag bei uns vorbei um zu hören, wie es uns und
den Verletzten ginge. Die nicht aus Neunkirchen waren, hatten aus dem
Radio von dem Unglück erfahren. Lina Braun und Ella wohnten noch einige
Monate bei uns, solange bis die Rote-Kreuz-Siedlung auf dem Steinwald
fertig gebaut war und sie dort untergebracht wurden. Heute, da ich alt
und sehr krank bin, fällt es mir besonders schwer darüber zu berichten.
Der 10. Februar 1933 ist mir obwohl ich damals noch ein Kind war, im
Gedächtnis geblieben, als wäre er gestern gewesen und ich werde ihn
auch nie vergessen können. Ich habe jahrelang sehr darunter gelitten
und muss auch heute noch weinen, wenn ich an die Gasometerexplosion
denke. Dieses Erlebnis finde ich noch schlimmer, als den letzten
Bombenangriff auf Neunkirchen 1945, den wir im Bunker verbrachten und
bei dem unser Haus völlig zerstört wurde.
In den nächsten Tagen
konnte erst das volle Ausmaß der Katastrophe überschaut werden. Die
Häuser an der Saarbrückerstraße in unmittelbarer Nähe des Gasometers
wurden völlig dem Erdboden gleichgemacht. Die Werksanlagen sind in
unmittelbarer Nähe total zerstört worden. Ganz Niederneunkirchen glich
einer Trümmerstadt. Schwere Zerstörungen gab es in der Schlawerie,
wohin man auch blickte, überall Scherben, Trümmer und Scherben.
Verheerend sah das neue Schulhaus aus. In den Dächern steckten die
gewaltigen Teile der Kesselwand, Teile bis zu einer halben Tonne
schwer. Die Bleche des Gasometers hatte der Luftdruck weit ins Gelände
gewirbelt. Die Saargefei, ein ziemlich neues Werksgebäude am
Oberschmelzer Weg war ein Schutthaufen. Fast kein Haus der
Hüttenbergstraße blieb unbeschädigt. Im Kaufhaus Levy stürzten teile
der Decke herab und verletzten Kunden schwer. An den Bahnanlagen waren
ebenfalls schwere Schäden entstanden. Stellwerke waren beschädigt
worden, ein Wiegehäuschen zertrümmert. Bis weit über die
Fischbachstrecke hinaus war das Bahngelände mit Trümmerstücken
übersäht. Werkstätten waren nur noch Ruinen und ein Güterwagen wurde
durch ein Trümmerstück zerschlagen. Die Bahnhofsvorhalle bot einen
seltsamen Anblick. Die Kuppel wurde durch die Explosion erschüttert und
man musste aus Sicherheitsgründen ein hohes breites Holzgerüst
errichten um die Decke zu stützen.
Am „Oberen Markt“ wurde der eiserne Mast einer Straßenlaterne aus dem Fundament gerissen.
Die Glaser, Schreiner und Dachdecker hatten am Samstag einen Arbeitstag
wie noch nie in den letzten Jahren. Glaser aus der näheren und weiteren
Umgebung waren nach Neunkirchen gekommen. Heimische Glaserwerkstätten
sahen sich zum Teil gezwungen, den Betrieb auf die Straßen zu
verlagern, da ihre Werkstattkapazität einfach nicht ausreichte. Bis zum
Abend war ein großer Teil der kleinen Scheiben ersetzt. Nur die großen
Schaufensterscheiben konnten noch nicht beschafft werden. Der Bahnhof
hatte Hochbetrieb. Nachdem die Kunde von diesem schrecklichen Unglück
durch die Zeitungen und den Rundfunk weit verbreitet worden war,
strömten an den nächsten Tagen Tausende nach Neunkirchen. Zum einen
wollten sich viele Menschen nach ihren Verwandten erkundigen, zum
anderen trieb aber auch die Neugierde viel Menschen in die Hüttenstadt.
Vom Bahnhof zog ein unaufhörlicher Zug Menschen zum Unglücksort. Ein
Bild wie man es sonst nur beim Schichtwechsel zu sehen bekam.
Man
hat Landjäger aus dem ganzen Land nach Neunkirchen kommandiert um für
Ruhe und Ordnung zu sorgen und den unaufhörlichen Menschenstrom vom
Unglücksort fernzuhalten. Nur Geistliche, Pressevertreter und
Photographen werden neben den Rettungskräften zum Unfallort
vorgelassen. In allen Teilen des Saargebietes und darüber hinaus zeigte
sich eine große Anteilnahme. Bereits am Vormittag des 11.Februar war
der Trierer Weihbischof Dr. Mönch nach Neunkirchen gekommen. Er hatte
aus früheren Seelsorgerzeiten noch intensive Kontakte nach Neunkirchen.
Presseinformationen
Am
Samstagabend wurden die Vertreter der Presse von der Generaldirektion
des Neunkircher Eisenwerks bei einem Empfang über nähere Einzelheiten
informiert.
Dabei sagte Generaldirektor Tgahrt wenig oder gar
nichts über die Unfallursache, vielmehr stellte er die Wohltaten des
Neunkircher Eisenwerks heraus. Er wies darauf hin, dass das Eisenwerk
für die betroffenen Werksangehörigen eine Küche eingerichtet habe. Zur
Anschaffung von Wäsche und Bekleidungsstücken für diejenigen, die ihrer
Habe beraubt wurden hat das Werk einen Betrag 50.000,- Franken
bereitgestellt. Ferner beschloss der Aufsichtsrat der
Hüttenknappschaft, die finanzielle Probleme erwartete 300.000,- Franken
zur Verfügung zu stellen.
Er wandte sich gegen die Darstellung,
dass das Werk ein ganzes Jahr stillgelegt werden soll. Es seien zwar
rund neun Monate notwendig um alle Anlagen wieder komplett instand
zusetzen. Die Koksversorgung könne mit zugekauftem Koks aufrecht
erhalten werden. Damit werde der Schichtenausfall nicht über die
vorgesehene Feierwoche hinausgehen. Die hauptsächliche Arbeitslosigkeit
werde die Beschäftigten der Wäsche, der Kokerei und der Nebenanlagen
treffen.
Auf die Frage wie groß der Schaden für das Eisenwerk sei
antwortete Herr Tgahrt dass der Schaden durch die Versicherung gedeckt
sei. Generaldirektor Kugener teilte mit, dass der Hochofenbetrieb
weiter aufrecht erhalten werde. Das Walzwerk soll bereits in zehn Tagen
wieder in Betrieb genommen werden. Weltweit wurde von dem tragischen
Explosionsunglück in Neunkirchen berichtet.
Während die
Hilfskräften noch voll beschäftigt waren, waren auch die ersten
Filmteams vor Ort. Die Fox-Filmgesellschaft aus Paris dokumentierte die
Ereignisse ebenso wie die UFA-Filmstudios aus Berlin. Zeitungen aus dem
In- und Ausland brachten ausführliche Berichte mit vielen Bildern.
Neben den saarländischen Zeitungen füllten die Ereignisse auch die
Titelseiten der deutschen Presse. Entsetzliche Gaskatastrophe über
Neunkirchen titelte die Saarbrücker Zeitung am 10. Februar.
Explosion: The largest gasholder in Germany exploded at Neunkirchen
überschrieb der „Manchester Guardian“ seinen Bericht vom 12.des Monats.
In der L’Illustration vom 18.Februar hieß es: Le centre usinier de Neunkirchen ravage par l’explosion d’un gazometre.
Sabotage Suspected In Gas Explosion Disaster - Tragic scenes in wrecked
german town, unterstellte der „Sunday Dispatch am 12. Februar. Die
Berliner Illustrierten Zeitung Nr. 7 brachte eine Sonderbeilage
Neunkirchen heraus.
Weitere Veröffentlichungen folgten: „Die
Neunkircher Explosionskatastrophe von der Redaktion der „Saar und
Blieszeitung“, die „Provinzial-Feuerversicherungsanstalt der
Rheinprovinz Düsseldorf“ veröffentlichte eine Broschüre: Bilder vom
Explosionsunglück Neunkirchen Saar. Diese kleine keineswegs auch nur
annähernd vollständige Auflistung der Presseberichte zeigt die
weltweite Beachtung, die Neunkirchen damals, wenn auch auf diese
tragische Weise, fand.