Die Hohlstraße – eine der ältesten Straßen in Neunkirchen 2. Teil
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Bericht von Armin Schlicker |
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Möglicherweise war für diese Veränderung ein Geschehen verantwortlich,
das in die große Politik hineinspielte. Karl-Ferdinand von
Stumm-Halberg, der damalige Hüttenherr, der sein Werk und die
Belegschaft mit harter Hand führte, war ein strikter Gegner der
Sozialdemokraten und der Gewerkschaften. Er bekämpfte sie mit allen ihm
zur Verfügung stehenden Mitteln. Als 1881 in Neunkirchen ein Ortsverein
des „Verein zur Wahrung und Förderung der Arbeiterinteressen” gegründet
worden war, ließ er am 9. Juli 1881 an den Werkstoren einen Anschlag
anbringen, dessen Text darin gipfelte, dass er behauptete, die
Gewerkschaften und ihre sozialdemokratischen Genossen würden unter der
Maske der Freiheit die äußerste Knechtschaft des Einzelnen erstreben.
Deshalb forderte er die Beschäftigten in dem Anschlag auf, folgende
Wirtschaften nicht zu besuchen, bzw. mit folgenden Geschäftstreibenden
den Verkehr zu meiden:
A. Wirtschaften:
1. J. Weber in der Wellesweilerstraße
2. Wwe. Peter Anschütz am oberen Marktplatz
3. Schmidt (Wallrath) am oberen Weiher
B. Geschäftstreibende
1. Wilhelm Zimmermann am oberen Marktplatz
2. Louis Ruffing
3. Louis Hübchen (Bäcker)
4. J. Mohrbacher (Friseur)
5. Karl Schmidt
Eine Ergänzung der Liste behielt sich Stumm ausdrücklich vor (7).
Offenbar
waren in der Gaststätte und vermutlich auch in dem neuen Saal
gewerkschaftliche und/oder politische Versammlungen durchgeführt worden.
Man kann sich vorstellen was dieser Aushang in der damaligen Zeit
für eine Geschäftsschädigung bewirkte. Es gibt Beispiele genug, was es
für einen Hüttenmann an Folgen haben konnte, wenn er sich an Weisungen
des Hüttenherrn, die oft bis ins Privatleben hineinreichten, nicht
hielt. Für die so geächteten Wirte und Geschäftsleute konnte dies das
wirtschaftliche Aus bedeuten.
In der ersten Hälfte des 20. Jh. wurde
neben den Gasträumen ein Friseurladen eingerichtet, wo Paul Schmidt (ein
Sohn des Katche) bis zu seinem frühen Tod einen Friseursalon betrieb.
Das hatte den Vorteil, dass man sich während des Aufenthaltes in der
Wirtschaft nebenan bei „Walrad’s Paul” rasieren oder auch die Haare
schneiden lassen konnte. Paul Schmidt starb bereits 1943 im Alter von
nur 43 Jahren. Den Betrieb führte danach ein Friseur namens Kreis
weiter.
1949 wurde in dem Gebäudeteil Richtung Talstraße, wo bis zu
diesem Zeitpunkt hinter einem zweiflügeligen Holztor
Abstellräumlichkeiten waren, ein weiteres Geschäftslokal ausgebaut. Dort
hat der Ehemann einer Nichte von Emma Schmidt namens Blechschmidt eine
Polsterei betrieben. Die Emma, eine Tochter des Katche, war
zwischenzeitlich als Nachfolgerin ihrer Mutter die Wirtin der Gaststätte
geworden.
Bis weit nach dem 2. Weltkrieg gab es eine ganz andere
Kneipenkultur als heute. Während man heute von Erlebnisgaststätten
spricht und ständig Events stattfinden müssen, hatten die Schank- und
Gastwirtschaften damals eine große Bedeutung im Zusammenleben der
Bevölkerung. Es gab noch kein Fernsehen und Bier gab es noch nicht in
Dosen und nur vereinzelt in Flaschen. Wer ein Bier trinken wollte, ging
in eine der gemütlichen Kneipen, wo er auch immer eine Unterhaltung
fand. Nach Arbeitsschluss ging man dorthin, um noch ein Feierabendbier
zu trinken. Dort wurden an der Theke die großen und kleinen Ereignisse
aus der Welt und aus der Stadt besprochen und kommentiert, es wurden
Witze erzählt und wenn sich jemand aus der Thekengesellschaft eine Blöße
gab, wurde er gnadenlos hochgenommen. Einzelne dehnten das
Feierabendbier auch schon mal in falscher Auslegung des Wortes bis zum
Feierabend des Wirtes aus. Die Gaststätten wurden von einzelnen Familien
oft über viele Jahre geführt, so dass sich zwischen Wirtsleuten und
Stammgästen oft ein Vertrauensverhältnis herausbildete. Das galt auch
für „Walrad’s Wertschaft”.
Die alten Berg- und Hüttenrentner
schätzten die gemütliche Wirtschaft auch tagsüber, in der sie stets
Gesellschaft zu einem Schwätzchen und zum Kartenspielen fanden. Wer
etwas über frühere Zeiten und Neuigkeiten aus der Stadt erfahren wollte,
fand hier manchen Alten, der ihm Bescheid zu geben vermochte.
Dazu passt eine lustige Geschichte, die Werner Raber 1991 einmal in den Scheiber Nachrichten (8)
zum Besten gab. Danach sei der im benachbarten Anwesen Hohlstraße 36
praktizierende Arzt Dr. Fuest am Umsatz in „Walrad’s Wertschaft”
beteiligt gewesen. Wenn das kleine Wartezimmer die Patienten nicht mehr
hat aufnehmen können, pflegte er zu treuen Patienten zu sagen: „Geh’n e
bissje enoff zum Emma unn trinke ääner, es Emma soll offschreiwe, ich
kääm dann bezahle”! Das waren noch Zeiten (da ist man doch noch gerne
zum Arzt gegangen).
Die alte Wirtschaft habe auch eine besondere
heimelige Note gehabt. Durch die mit Klappläden versehenen Fenster sei
nur am frühen Morgen die Sonne gekommen. Tagsüber war der einfach
eingerichtete Gastraum in zartes Licht getaucht; früh schon musste am
Buffet die Beleuchtung eingeschaltet werden.
Bis zur Schließung des
Lokals in den 1980er Jahren wurde das Bier mit einer vorsintflutlichen
Technik gekühlt. Die Bierleitung wurde von außen durch ein Becken
geleitet in das regelmäßig zerkleinertes Blockeis eingefüllt werden
musste.
An der Wand zwischen den beiden Türen hing ein Anzünder für
Pfeifen und Zigarren. Die kleine, mit einem Griff versehene Düse war
mittels eines dünnen Gummischlauchs mit der Gasleitung verbunden. Das
kleine Gasflämmchen brannte immer, stets konnte der Raucher sich seiner
bedienen, Streichholz oder Feuerzeug waren nicht notwendig. Diese
Besonderheit ist heute wohl nirgendwo mehr zu finden.
Vor der Theke
auf dem Boden stand immer ein Spucknapf aus Messing, wie man es aus
Wildwest-Filmen kennt. Die alten Bergleute konnten sich oft auch in
ihrer Rente nicht von ihrem Kautabak trennen, sie „priemten” und mussten
dann gelegentlich auch ausspucken.
Die einfache Toilette, aus
unverputzten Steinen gemauert und mit Türen aus groben Holzbohlen
(Stichwort Plumsclo), stand im Hof, angelehnt an den Sandsteinfelsen.
Hinter einer Sichtblende standen die Männer teilweise unter freiem
Himmel. Das Urinal bestand aus einer mit Teer gestrichenen Wand, davor
lief ein Wasserrinnsal durch eine Rinne.
Die Höhe des Gastraumes
entsprach nicht ganz den heutigen Vorschriften; eine Stütze inmitten des
Gastraumes hinderte den Deckenbalken am weiteren Durchbiegen. Böse
Zungen sagten den Gästen in Walrad’s Wirtschaft nach, dass die so logen,
dass sich der Balken gebogen habe (daher auch die Bezeichnung „de
Liehbalge”). Wer da nach heutigen Gesichtspunkten eine durchschnittliche
Größe hatte, musste sich bücken, um sich den Kopf nicht anzustoßen.
Alles
in allem war die Wirtschaft ein urgemütliches Lokal, so richtig zum
Wohlfühlen. Die Stammgäste wussten, dass sie beim Emma jederzeit ein
gutes und wohltemperiertes Glas Bier erhielten.
Hochbetagt hat
schließlich Emma Schmidt im Sommer 1981 den Betrieb der altbekannten
Wirtschaft eingestellt. Das Gebäude wurde 1983 abgerissen. Das Gelände
wurde danach planiert und heute steht dort, allerdings weiter von der
Straße zurück, ein Lebensmittelmarkt (Penny).
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Paul Schmidt vo. li. im weißen Kittel mit Gesellen
und Kunden. Quelle: W. Raber |
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Toilette im Hof der Gaststätte.
Quelle: L. Klein |
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1983 – Abriss der Gaststätte.
Quelle: L. Klein |
Quellen: |
- 7. Heinz Gillenberg: Karl-Ferdinand
von Stumm-Halberg, Ein Industriellenleben
(1836–1901), S. 82, Nr. 15 der Neunkircher Hefte
des Verkehrsvereins Neunkirchen, 2003
- 8. Raber Werner: Scheiber Gaststätten,
in: Scheiber Nachrichten, Nr. 22/1991
- 9. Wie Anmerkung 6
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Nun zur Familie Schmidt/Walrad:
Der
Beiname Walrad der Familie Schmidt, die über 160 Jahre in dem Hause
wohnte, hat schon manchen Heimatforscher beschäftigt. Vielfach
entstanden die so genannten Bei- oder Hausnamen, die heute noch in
manchem Dorf gang und gäbe sind, aus Bezeichnungen früher in der Familie
betriebener Berufe, aus der körperlichen oder geistigen Eigenart eines
Sippenangehörigen oder aus bemerkenswerten Vorkommnissen in seinem
Leben, wobei der Schritt vom Beinamen zum Necknamen (Spitznamen) oft
nicht groß ist. Oft sind auch der Sinn und die Herkunft dieser Beinamen
nicht mehr nachzuvollziehen.
Ein glücklicher Zufall hat es gefügt, dass im Fall unserer Walrad’s die Herkunft des Namens einwandfrei festzustellen ist (9).
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Ende des 2. Teils, Fortsetzung folgt |
Armin Schlicker |
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