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Geschichte der Arbeiterbewegung |
Kämpfe für soziale Demokratie und Verteilungsgerechtigkeit
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von Georg Jung - 3. Teil
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Mit der Zerschlagung der freien Gewerkschaften am 2. Mai 1933 und dem formellen Verbot der SPD am 22. Juni im Reich änderte die saarländische SPD ihre Meinung zur Rückgliederung des Saargebietes an Deutschland. Im August 1933 rückte der SPD-Vorsitzende im Saargebiet, Max Braun, von seiner bisherigen Position zur Rückgliederung des Saargebietes im Verlaufe einer Kundgebung in Neunkirchen ab. Damit war eine Wende eingetreten. Am 8. Juli forderte Max Braun im Saalbau Neunkirchen dazu auf, Blut und Leben, wenn es gilt, auf den Barrikaden einzusetzen, um den Faschismus zu vernichten. Er und Fritz Pfordt (Mitglied der KPD) waren fortan die bekanntesten Agitatoren für den Status quo. Der einflussreiche Klerus sprach sich mit wenigen Ausnahmen für die Losung der Deutschen Front aus. Das von dem Augenarzt Karl Schneider gegründete Initiativkomitee aller Hitler-Gegner und Friedensfreunde änderte an der Entwicklung auch nichts mehr.
Im Volkshaus Neunkirchen und in Wiebelskirchen wurden Lager eingerichtet, die mehreren 100 Flüchtlingen aus dem Reichsgebiet Schutz und Unterkunft bieten sollten. Am 13. Januar stimmten 90% der Wähler für die Rückkehr ins nationalsozialistische Deutschland und nur 9% für die Beibehaltung des Status quo. Nach der Rückgliederung wurde die Arbeiterbewegung auch im Saargebiet zerschlagen. 1945 – 1982 Ende des „Tausendjährigen Reiches“ – Die neue Zeit Am 21. März 1945 wurde Neunkirchen von amerikanischen Armeeeinheiten befreit. Das angekündigte 1000-jährige Reich hatte damit zwar im Saarland nur 10 Jahre angedauert, aber in dieser kurzen Zeit unglaubliche Verbrechen begangen. An Saar und Blies waren viele Menschen der Politik des Nationalsozialismus zum Opfer gefallen. Stellvertretend möchte ich hier nennen: Wilhelm Hermann, verhaftet am 29. April 1942 in Frankreich, angeklagt wegen seiner Tätigkeit im Widerstand für die KPD, verurteilt zu 14 Jahren Haft. Er starb am 17. Februar 1944 im hessischen Zuchthaus Butzbach. Heinrich Konrad, verhaftet am 17. Oktober 1940, ebenfalls angeklagt wegen Tätigkeit im Widerstand für die KPD, am 15. September 1942 in Stuttgart hingerichtet. Wilhelm Frisch, verhaftet am 20. August 1940, erschlagen im Oktober 1940. Karl Schneider, Augenarzt, im März 1940 in die berüchtigte Schutzhaft genommen, im November des gleichen Jahres im KZ Dachau ums Leben gekommen. Erich Hollinger, ehemals im Eisenwerk beschäftigt, am 12. Juni 1940 verhaftet, im Januar 1941 ins KZ Dachau überstellt, dort am 29. April 1941 ums Leben gekommen. Andere hatten mehr Glück und konnten nach der Befreiung und Emigration zurückkehren und beim Neuaufbau der Gesellschaft mithelfen. Der frühere Bevollmächtigte des Deutschen Metallarbeiterverbandes in Neunkirchen, Hermann Henneicke, kam aus dem KZ Sachsenhauses zurück, Hermann Petry aus einem Zuchthaus in Brandenburg, sein Neffe Karl Petry aus dem Strafbataillon 999 und Bartolomäus Koßmann aus der Schutzhaft in Berlin. Am 8. April 1945 kamen Beschäftigte der Gruben Kohlwald und Dechen in einer Gaststätte zusammen, um über die politische und wirtschaftliche Situation zu beraten. Sie bestimmten eine dreiköpfige Gruppe, die zunächst einmal für die Entfernung alter Nationalsozialisten aus den Betrieben und Verwaltungen sorgen sollte. Zwei Wochen später versammelten sich Vertreter der Gruben König, Kohlwald, Heinitz, Dechen und Frankenholz, um über den Wiederaufbau der Gewerkschaften zu sprechen. Obwohl sie früher unterschiedlichen Richtungsgewerkschaften angehört hatten, traten jetzt alle Diskussionsredner für die Schaffung einer einheitlichen Organisation ein. Sie zogen damit die Konsequenzen daraus, dass die Spaltung in konkurrierende Richtungsgewerkschaften es 1933 der NSDAP erheblich erleichtert hatte, die Diktatur zu errichten. Am 1. Juli 1945 wurde im Karlsbergsaal zu St. Ingbert der neue gewerkschaftlich Dachverband aus der Taufe gehoben, die Einheitsgewerkschaft der Arbeiter, Angestellten und Beamten. Zum provisorischen Vorsitzenden wurde Heinrich Wacke gewählt. Für die Masse der Bevölkerung standen andere Probleme im Vordergrund. Vor allem die materielle und psychische Bewältigung von Krieg, Elend und Not prägten den Alltag. In Neunkirchen waren 350 tote Zivilisten als Folge der Kriegshandlungen zu verzeichnen. Hinzu kamen über 1500 gefallene Soldaten, sowie viele verkrüppelte und Verwundete. 3600 Häuser hatten Kriegsschäden. Das Verkehrs- und das Nachrichtensystem waren zusammen gebrochen. Die Betriebe lagen weitgehend still. Das Eisenwerk stand auf der Demontageliste der Alliierten. Nur die Förderung auf den Gruben kam rasch wieder in Gang. Am 10. Juli 1945 übergaben die US-Truppen das Saargebiet an die französische Armee. Die Wiederzulassung der demokratischen Parteien ließ bis Januar 1946 auf sich warten. Die franz. Militärregierung legalisierte im September 1945 die Einheitsgewerkschaft, beschränkte ihre erlaubte Tätigkeit aber auf die Wahrnehmung der Berufsinteressen ihrer Mitglieder. Es war wie 1918/19: Ziel der französischen Nachkriegspolitik war zunächst einmal, das Saargebiet ökonomisch von Deutschland zu trennen und möglichst eng an sich zu binden. Die Parteien hatten unterschiedliche Auffassungen zu dieser Absicht. SPS und CVP waren wohl eindeutig der Auffassung eines eigenständigen saarländischen Weges. Bei den Wahlen dominierte die CVP. Im Neunkircher Stadtrat stellte die SPS 12, die CVP 11, die KPD 4 und die DPS nur 3 Abgeordnete. Bei der 2. Kommunalwahl im März 1949 erhöhte die SPS ihre Mandatssitze auf 15, die CVP ihre auf 12, die KPD blieb bei 4 und die DPS bei 3 Sitzen. Zur zentralen politischen Frage, an der sich tiefe Spaltungen in der Gesellschaft und persönliche Verletzungen entzündeten, entwickelte sich ab der frühen 50er Jahre der Konflikt um die künftige national Zugehörigkeit des Saarlandes. Der Streit ging quer durch viele Familien. 1952 wählte die Einheitsgewerkschaft Paul Kutsch zu ihren Präsidenten, einem entschiedenen Befürworter der Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik Deutschland. Auch ein schnell wachsender Flügel der SPS ging nun offen auf Distanz zur offiziellen Parteilinie. In Neunkirchen zählte die Parteimehrheit und nahezu die gesamte sozialistische Jugend des Saarlandes unter Vorsitz des späteren Oberbürgermeisters Friedel Regitz zu den Befürwortern der Rückgliederung. Hermann Petry jedoch blieb dem Kurs der Autonomie treu. Sein Neffe Karl Petry dagegen war mit seinem Schwiegervater Hermann Henneicke und dem späteren Bevollmächtigten der IG Metall, Rudi Tschirner, auf der Seite der Opposition. Im Spätsommer 1952 brach die SPS Neunkirchen auseinander. Im Rahmen einer Mitgliederversammlung verließen viele Mitglieder unter Führung von Karl Etienne die SPS. Auch die Konflikte in der Einheitsgewerkschaft eskalierten. Die IV-Bergbau rief dazu auf, bei den Landtagswahlen im November 1952 weiße Stimmzettel abzugeben, da die DSVP nicht kandidieren durfte. 1954 wurde festgelegt, dass im Herbst 1955 eine Volksabstimmung über die Zukunft des Saarlandes stattfinden soll. Im Februar 1955 gab es in der Metall- und Stahlindustrie Lohnforderungen, die zu einem Streik führten. Dieser Streik entwickelte sich zu einem politischen Streik um die Frage der Zukunft des Saarlandes. In Neunkirchen, Völklingen und Saarbrücken kam es zwischen streikenden Arbeitern und der Ordnungsmacht zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, die dem Statu quo-Gedanken nicht förderlich waren. Im August 1955 begann der Wahlkampf für die für den 23. Oktober vorgesehene Volksabstimmung über die Annahme des Saarstatuts. In diesem Zusammenhang fand am 17. August in Neunkirchen eine Kundgebung von Autonomiebefürwortern statt, die zu einer Straßenschlacht mit Andersdenkenden führte. Die Saarbrücker Allgemeine Zeitung schrieb: „Zu Beginn der Kundgebung hatten Jugendliche versucht, von der Straße aus in das Gebäude einzudringen. Mit Baumstämmen wollten sie die Türen einrammen. Die Polizei griff schließlich zu Tränengas und Gummiknüppel. Dabei wurden mehre Personen brutal niedergeschlagen“. Am 23. Oktober entschieden die Wähler mit deutlicher Mehrheit gegen die Annahme des Saarstatuts. Das führte, wie bekannt, am 1. Januar 1957 zur politischen Zurückgliederung und am 5. Juli 1959 zur wirtschaftlichen Eingliederung in das Bundesgebiet. Mit der Eingliederung an bundesdeutsche Organisationen wurde die Spaltung der saarländischen politischen und gewerkschaftlichen Organisationen bald überwunden. Nicht vergessen darf man jedoch schmerzhafte persönliche Verletzungen im Zusammenhang mit dem Abstimmungswahlkampf wie zum Beispiel zum Nachteil des sozialdemokratischen Bürgermeisters Friedrich Brokmeier. In einem anonymen Flugblatt wurde aufgefordert: „Straft den Herrn Bokmeier dort wo ihr ihn trefft mit Verachtung und kennzeichnet ihn als das was er geworden ist, als einen gewissenlosen Büttel der französischen Besatzungsmacht“. Der erste Vorsitzende des DGB-Kreises Neunkirchen wurde Walter Loch, ihm folgten Edgar Grund und Lucie Meyfarth. Der DGB-Kreis Neunkirchen war mit 55.000 Mitgliedern zeitweise der mitgliederstärkste DGB-Kreis im Saarland. Nach der Vereinigung mit den bundesdeutschen DGB-Gewerkschaften gab es in Neunkirchen neben dem DGB-Kreis eine Geschäftsstelle der ÖTV und der IG-Bergbau und Energie. 1961 wurde die Zahlstelle des bisherigen Industrieverbandes Metall zu einer eigenständigen IG-Metall-Verwaltungsstelle umgewandelt. Der erste gewählte Bevollmächtigte war Rudi Tschirner. Im Juli 1956 protestierte der Deutsche Gewerkschaftsbund gegen die Demontage der sozialen Errungenschaften aus der „Joho-Zeit“. Familienzulagen, Kindergeld, Mehrarbeitszuschläge, Rente ab 60 usw. wurden beseitigt, entgegen der Zusage von Politikern, die der Saarbevölkerung die Erhaltung des sozialen Besitzstandes wiederholt zugesichert hatten. Nach und nach wurden die saarländischen Arbeitnehmer in das Betriebssystem der Bundesrepublik eingebunden, das französische System verließ man und nahm nun teil an einer positiven Produktivitätsentwicklung und an den damit verbundenen höheren Löhnen und Gehältern. Die aufblühende Stahlindustrie, insbesondere auch das Eisenwerk hatten zu Beginn der 70er Jahre ihre ersten strukturellen Schwierigkeiten. Zunehmend wurden Kapazitäten abgebaut und damit Personal. 1974 gab es eine 4-tägige spontane Arbeitsniederlegung. Das Ergebnis waren entsprechend höhere Löhne. In der Folge allerdings ging es bergab. In einer großen Demonstration mit 10.000 Menschen 1978 in Neunkirchen wurde im Zusammenhang mit Personalabbau ein entscheidender Sozialplan von der IG-Metall erkämpft. Das Ergebnis der Auseinandersetzung mit den Arbeitsgebern war die soziale Abfederung für ausscheidende Arbeitnehmer und der Erhalt von 2 Walzenstraßen und damit die Sicherung von ca. 800 Arbeitsplätzen in Neunkirchen von bisher 8000. Unter Führung der IG-Metall unterstützt von Betriebsräten und Belegschaften wurde nicht zuletzt mit der Montanmitbestimmung dieses sozialverträgliche Ergebnis erzielt. Die industriell sozialversicherungspflichtigen Vollarbeitsplätze wurden zum großen Teil bis heute nicht ersetzt. 1982 erfolgte der letzte Hochofenabstich; Neunkirchen hat sich gewandelt. Peter Neuber hatte formuliert: „Die Formel NK = NE muss positiv aufgelöst werden“. Schlimmeres konnte verhindert werden, aber nicht der massenhafte Verlust an industriellen Arbeitsplätzen. In der Wirtschaftswoche von 1988 resümierte man – Zitat: „Die Eisenzeit ist vorbei in Neunkirchen“. Einem fossilen Ungeheuer gleich lauerten die rostbraunen Türme, Rohre und Konstruktionen des Stahlwerks über den Dächern der Stadt. Beängstigend nah und groß steht „die Hütt“, wie die Einheimischen die Stahlschmelze stets nannten, nicht mehr. |
– Ende – |
von Georg Jung
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