Neunkirchen vor 100 Jahren | ||||||
Im Jahre 1901 gab es nicht nur ein Neunkirchen | ||||||
– 1. Teil – von Werner Fried | ||||||
Es ist wohl immer ein schwieriges Unterfangen, eine vergangene Zeit zu
beschreiben, und auch schon dann, wenn sie nur 100 Jahre zurückliegt.
Vermutlich wird auch die nachfolgende Diskussion sogleich aufzeigen,
welche Lücken es in dieser Beschreibung noch gibt, die es noch zu
schließen gilt, oder die vielleicht für immer offen bleiben müssen. Ein
solcher Bericht kann deshalb immer nur eine fragmentarische
Aneinanderreihen von Ereignissen und Begebenheiten sein, die
aktenkundig sind und dem Schreiber zugängig waren. Soweit die kleine
Vorbemerkung, und nun zu dem Neunkirchen des Jahres 1901, und auch ein
bisschen drum herum, weil speziell für dieses Jahr nicht immer die
notwendigen Daten verfügbar sind: Seit dem 1.7.1816 (1) war Neunkirchen
preußisch, gehörte zum Kreis Ottweiler im Regierungsbezirk Trier der
preußischen Rheinprovinz. Es gab im Jahre 1901 aber nicht nur ein Neunkirchen, sondern derer gleich drei, und zwar einmal das alte, ursprüngliche Neunkirchen um die im zweiten Weltkrieg zerstörte Pauluskirche herum. Dann gab es Niederneunkirchen, das sich im Jahre 1799(2) als selbständige politische Gemeinde von dem alten Neunkirchen getrennt hatte, aber keine größere Bedeutung erlangte, was allein schon daran deutlich wird, dass es z.B. im Jahre 1895 im alten Neunkirchen, dem Oberneunkirchen, 1283 Häuser mit 19090 Seelen gab und in Niederneunkirchen nur 80 Häuser mit 544 Seelen.(3) Die geringere Bedeutung Niederneunkirchens erklärt sich auch daraus, dass Oberneunkirchen über den weitaus größeren Landbesitz verfügte und so auch über das meiste Land im heutigen Unterort. Auch die Schlawerie und Sinnerthal gehörten zu Oberneunkirchen. Niederneunkirchen umfaßte nur einen engen Bereich um das Eisenwerk, und dazu gehörten noch die Neue Schmelz, der Neunkircher Hof und das Torhaus am Ende der Saarbrückerstraße.(4) Neben diesen zwei Neunkirchen gab es dann noch die übergeordnete Bürgermeisterei Neunkirchen zu der auch die Gemeinden Wellesweiler, Spiesen-Elversberg und Kohlhof gehörten. Im Jahre 1901 galt noch immer das 1845 eingeführte Dreiklassenwahlrecht, ein Wahlrecht, das nicht allen Bürgern zustand und eindeutig die Begüterten in Vorteil brachte. Grundsätzlich waren danach nur die sog. Meistbeerbten wahlberechtigt, und das waren alle die preußischen Untertanen, die selbständig waren und zu einer Grund- und Gebäudesteuer von mindestens 6 Mark jährlich veranlagt waren. Wer also keinen Grundbesitz hatte, oder nur in solch geringem Umfange, dass er weniger als 6 Mark Grund- und Gebäudesteuer zu zahlen hatte, der war nicht wahlberechtigt. Ausgenommen vom Wahlrecht waren auch die Frauen, die erst nach dem 1. Weltkrieg das Wahl-recht erhielten. Dieser Ausschluß der Frauen wirkt noch bis heute nach und erklärt auch, weshalb in allen Gremien auch heute noch die Männer zumindest in der Überzahl sind. Was aber führte zu der Bezeichnung „Dreiklassenwahlrecht“? Diese drei Klassen wurden auf sehr komplizierte Weise ermittelt. Da wurde zunächst eine Liste aller Wahlberechtigten, der sog. „Meistbeerbten“ aufgestellt, und zwar mit der Angabe ihres Steueraufkommens, exakt aufgelistet vom niedrigsten bis zum höchsten Steuerbetrag. Sodann wurde anhand dieser Liste das Gesamtsteueraufkommen ermittelt, und dieses wurde dann gedrittelt. Die meist wenigen besserbegüterten Wahlberechtigten, die mit ihren hohen Steuern für das obere Drittel der Gesamtsteuer aufkamen, bildeten dann die I. Klasse. Diejenigen, die für das zweite Drittel aufkamen, bildeten die II. Klasse, und die weit größere Zahl der kleinen Steuerzahler bildete die III: Klasse. Jede Klasse wählte dann ein Drittel der Gemeindeverordneten, was zur Folge hatte, dass die Meistbegüterten der ersten und zweiten Klasse Zweidrittel der Gemeindevertreter stellten, während die Mehrzahl der Wahlberechtigten in der III.Klasse nur ein Drittel stellte, also in der Unterzahl war. Der Vorteil der Meistbegüterten wurde sogar noch gesteigert durch die Bestimmung, dass diejenigen Meistbegüterten, die zu mehr als 150 Mark Grund- und Gebäudesteuer veranlagt waren, sogenannte „geborene“, und damit zusätzlich Mitglieder der Gemeindevertretung waren, also nicht gewählt werden mußten.(5) Soweit in groben Zügen die Beschreibung des Dreiklassenwahlrechtes, ohne die vielen Sonderregelungen, die es daneben noch zu beachten galt. In Neunkirchen selbst war im Jahre 1901 bis zu seinem Tode der Freiherr von Stumm-Halberg geborenes Mitglied. Außerdem der Brauereidirektor Schmidt, und seit April dieses Jahres auch der Architekt Friedrich Mundorf. Von den gewählten Gemeindeverordneten mußte alle drei Jahre die Hälfte ausscheiden oder wieder gewählt werden. Die Gemeindeverordneten wählten jeweils für ihre Gemeinde den Gemeindevorsteher. In Niederneunkichen war es 1901 der Platzmeister Peter Faust, in Oberneunkirchen, und auch hier von den Gemeindeverordneten gewählt, der Bürgermeister Ludwig. Als Bürgermeister der Bürgermeisterei Neunkirchen bedurfte Ludwig allerdings der Ernennung durch die Kgl. Regierung. Immerhin war er aber auf Vorschlag der Bürgermeisterei-Versammlung von der Königlichen Regierung ab 1.10.1885 kommissarisch mit der Verwaltung der Bürgermeisterei beauftragt worden, und jetzt im Jahre 1901 war Hermann Ludwig gemäß Königlicher Verfügung vom 19.4.1886 bereits seit dem 1.5.1886 definitiv der Bürgermeister von Neunkirchen.(6) Bis 1922, dem Jahr der Stadtwerdung Neunkirchens, war die Bürgermeisterei Neunkirchen immer ohne eigenes Amtsgebäude. Sie amtierte nach mehreren Umzügen jetzt im Jahre 1901 in dem früheren Knappschaftslazarett in der Wellesweilerstraße, das die Gemeinde Neunkirchen von der Knappschaft erworben hatte, es auf ihre Kosten entsprechend herrichtete und dann der Bürgermeisterei gegen eine jährliche Miete von 2100 Mark überlassen hatte. Auch der Bürgermeister Ludwig wohnte darin zur Miete.(7) Gemäß der Volkszählung vom 1.12.1900 hatte die Bürgermeisterei 40655 Einwohner, und davon lebten 29187 in den Gemeinden Ober- und Niederneunkirchen. Für Niederneunkirchen zählte man 743 evangelische und 760 katholische, insgesamt also 1503 Einwohner, und für Oberneunkirchen  13664 evangelische, 13817 katholische, 13 sonstige christliche und 190 jüdische, insgesamt also 27684 Einwohner. In den beiden Neunkirchen lebten demnach im Jahre 1901 rund 29000 Menschen(8). Gegenüber den Zahlen von 1895(9) , hatte sich damit in nur 6 Jahren die Einwohnerzahl, um mehr als 9000 erhöht. Versorgt werden mußten auch noch die Arbeiter, die von außerhalb kamen und ihre Unterkunft in den Schlafhäusern gefunden hatten, die in insgesamt 39 Sälen mit 936 Betten zur Verfügung standen.(10) Dieser rapide Bevölkerungszuwachs bewirkte auch einen ständig wachsenden Bedarf an Wohnraum, und deshalb herrschte schon seit den Vorjahren eine rege Bautätigkeit. So wurden auch im Jahre 1901 insgesamt 162 Bauerlaubnisse erteilt, und zwar für 36 Neubauten, 48 Umbauten und 78 sonstige bauliche Herstellungen.(11) Die Gemeinde Neunkirchen war wegen dieses großen Bedarfs an Wohnungen ständig damit beschäftigt, Land anzukaufen oder zu tauschen, um Baugrundstücke anbieten und neue Straßen anlegen zu können. Zugleich mußte auch der alte Dorfteil saniert werden, waren doch noch Wasserleitungen zu ver-legen und mehr und mehr auch die notwendigen Abwasserkanäle, damit die stinkenden Abwässer aus den Straßenrinnen verschwanden. Durch den fortschreitenden Anschluß der Wohnhäuser an die Wasserleitung war schließlich auch der Wasserverbrauch und damit zugleich auch das Volumen der Abwässer merklich angestiegen, wie natürlich auch durch die ständig wachsende Bevölkerungszahl. Viele Straßen waren noch geschottert. Man war aber seit einigen Jahren dabei, diese zu pflastern. Der Obere Markt und die obere Hüttenbergstraße bis zur Gerichtsstraße waren schon gepflastert, und gerade hatte man auch den unteren Teil der Hüttenbergstraße gepflastert. Die Karlstraße wurde bis zum Jägerschulhaus gepflastert, und gerade jetzt wurde sie zu ihrer Verlängerung entsprechend aufgeschüttet. Auch an mehreren anderen Stellen wurde gepflastert(12). In sommerlichen Trockenperioden gab es insbesondere in den nur geschotterten Straßen auch viel Staub, und deshalb hatte die Gemeinde Sprengwagen angeschafft, mittels deren man die Straßen besprengte, um so den Staub etwas zu binden. Autos gab es noch nicht. Alle Transporte wurden mit Pferdefuhrwerken, seltener auch mal mit einem Kuhgespann, bewerkstelligt. Speziell für das Jahr 1901 gibt es da keine Zahlen, wohl aber für das Jahr 1905. Da fuhren am 29. November 1043 Fuhrwerke durch die Bahnhofstraße, gezogen von rund 2000 Pferden. Zur Beseitigung von deren Hinterlassenschaft sorgte ein Gemeidearbeiter, der mit einem besonders dazu hergerichteten zweirädrigen Karren durch die Straßen fuhr und die Pferdeäpfel aufsammelte. Wo es schon Wasser aus der Wasserleitung gab, und wo es schon den Abwasserkanal gab, dort gab es nun nach und nach auch den Abort mit Wasserspülung; bei mehrstöckigen Häusern zumeist an die Häuser angebaut mit einem Zugang im Treppenhaus zwischen den Stockwerken. Die älteren Leute unter uns werden sich noch an die damalige Wasserspülung erinnern. Da hing an der Wand über der Abortschüssel ein kleiner, eiserner Wasserbehälter, der sich automatisch mit Wasser füllte, und wenn man an einer Kette mit Porzelangriff zog, dann folgte mit diesem gespeicherten Wasser die Spülung. Nachspülen konnte man erst, wenn sich dieser Wasserbehälter wieder gefüllt hatte. Ansonsten gab es noch überall das alte „Plumsklo“ hinter dem Haus mit der dazugehörigen Jauchegrube, dem „Puddelloch“, das immer wieder geleert werden mußte, indem man den Garten damit „puddelte“ also düngte. Die Gemeinde hatte aber schon ein Spezialfahrzeug, das die Jauche abpumpte und zum größten Teil wohl in die Blies entsorgte, in die auch die Abwässer aus den Kanälen flossen. Ein Wasserklosett oder gar ein Badezimmer innerhalb der Wohnung, das überstieg damals ganz allgemein jede Vorstellungskraft. Als Badewanne diente damals zumeist eine zinkblecherne „Wäschbütt“, die man auch „Prenkelbütt“ nannte, vermutlich deshalb, weil das Zinkblech ein gesprenkeltes aussehen hatte. Gebadet wurde darin in der Küche und als Badeofen diente der Küchenherd, auf dem man in großen Töpfen das notwendige Wasser erhitzte. Im Vergleich zu heute also ein sehr umständliches Verfahren, erst recht, wenn die Wasserleitung noch nicht bis in die Küche vorgedrungen war, und wenn man das Wasser deshalb noch aus einem Brunnen heranschleppen mußte. Deshalb begnügte man sich oft auch mit einer Schüssel warmen Wassers und machte dann einfach mit Waschlappen und Seife nur eine Ganzkörperwaschung. Lange vor 1900 gab es im Sommer noch die Möglichkeit in der Blies zu baden und zu schwimmen, wie z.B. oberhalb der Böcking’schen Mühle und am Gaswerk, was dann aber wegen der zunehmenden Verschmutzung der Blies nicht mehr erlaubt wurde. Es gab dann etwa ab 1895 eine Bademöglichkeit in einem künstlichen Becken beim Fischkasten und dann auch die Gemeindebadeanstalt am Mehlpfuhl, der ab 1900 auch das Wasser des Haken- und Steinbrunnens zugeführt wurde. In der Badeanstalt aber herrschten strenge Sitten, konnte nur nach Geschlechtern getrennt zu jeweils festgelegten Tageszeiten gebadet werden. 1899 war so z.B. während der Sommerferien die Badezeit für weibliche Personen auf 10 bis 14 Uhr festgelegt worden. Die Wohnungen selbst waren relativ einfach eingerichtet. Da gab es keine Fließen und keine Teppichböden, sondern nur Holzfußböden, deren Dielen beim Betreten oft geräuschvoll knarrten. In der sog. „Guten Stube“, über die längst nicht jede Familie verfügte, und die dann auch nur bei besonderen Anlässen und Feierlichkeiten benutzt wurde, da lag auch schon einmal ein „Wohnzimmerteppich“. Letzterer wurde von Zeit zu Zeit im Hof über eine Stange gehängt und mit dem Klopfer ausgeklopft. Den Staubsauger gab es noch nicht. In den Häusern, die einen Gasanschluß hatten, gab es schon Gaslampen. Ansonsten mußte man sich mit Petroleumlampen oder mit Kerzenlicht begnügen. Elektrizität und damit elektrisches Licht gab es noch nicht. Die Arbeit mußte bei Tageslicht getan werden. Oft saß man an den langen Winterabenden um dem Ofen herum, der bei geöffneter Ofentür mit seinem Feuerschein den Raum etwas erhellte. Auch die Straßen wurden mit Gas- und Petroleumlampen beleuchtet, und so gab es im Jahre 1901 in Neunkirchen 381 Gas- und 93 Petroleumlaternen, die von einem Laternenmann, ausgerüstet mit einer langen Stange, am Abend angezündet und am Morgen wieder gelöscht werden mußten(13). | ||||||
Die Quellen:
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– Ende Teil 1 – | ||||||
Werner Fried |