Historischer Verein
Stadt Neunkirchen e.V.

Historischer Verein Stadt Neunkirchen e.V.

Niederneunkirchen und die Schlawerie
Aus dem Bann gelöst und eine Gemeinde gebildet
Ein Bericht von Werner Fried
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Die Karte zeigt Neunkirchen mit dem Tractus XXV, der zu Niederneunkirchen wurde.
Deutlich zu sehen ist, wie eng begrenzt dieses Niederneunkirchen doch war und wie Oberneunkirchen an ihm vorbei bis zum Kuchenberg reichte. Ganz am rechten (westlichen) Rand, wenn auch nicht benannt, ist auch das Torhaus zu erkennen(2).

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Diese Karte zeigt in vergrößertem Maßstab den Tractus XXV allein. Es handelt sich bei diesen Karten um Zeichnungen, die nicht in allen Einzelheiten übereinstimmen. Hier z. B. ist auch die Neue Schmelz eingezeichnet, während man das Torhaus nicht erkennen kann. Gut zu erkennen ist aber die Enklave Schlawerie (3).

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Die dritte Karte zeigt in vergrößertem Maßstab die Enklave
Schlawerie und das sogar mit Aufschluss der Besitzverhältnisse.
Bereits 1784 waren die Einwohner der Schlawerie durch
Kauf Eigentümer ihrer Grundstücke geworden(7).
Ursprünglich gab es nur das Dorf Neunkirchen, und innerhalb seines Bannes lagen am Ende der Herrschaft von Nasssau-Saarbrücken, das Schloss Jägersberg mit seinem umfangreichen Landbesitz, das herrschaftliche Eisenwerk mit der Neuen Schmelz, der herrschaftliche Neunkircher Hof und das Torhaus am Ende der Saarbrückerstraße. Im Jahre 1793 rückten die französischen Revolutionstruppen in Neunkirchen ein und plünderten das Schloss. Der Fürst Ludwig war zuvor abgereist und sein Sohn konnte sich in letzter Minute mit einem Sprung über die Schlossmauer seiner Verhaftung entziehen. Es begann die Herrschaft der Franzosen, die als Erstes einmal alle herrschaftlichen Güter konfiszierten. Sie brauchten Geld für ihre weitere Kriegsführung bis nach Rußland hinein, und deshalb verkauften sie alsbald diese beschlagnahmten Güter. So war es dann auch den Gebrüdern Stumm möglich geworden, im Jahre 1806 das Eisenwerk und im Jahre 1809 auch den Neunkircher Hof käuflich erwerben(1).
Doch schon zuvor hatte sich Niederneunkirchen aus dem Neunkircher Bann herausgelöst und als selbständige Gemeinde gebildet. Die Loslösung erfolgte in der Weise, dass man aus dem Bann Neunkirchen den Tractus XXV herausnahm und ihm den Status einer selbständigen Gemeinde gab.
Es ist zu vermuten, dass die Gründung Niederneunkirchens nicht von seinen Bewohnern, sondern wohl doch eher von den Besitzern von Hof und Eisenwerk betrieben wurde, weil die dann für sich mehr freie Gestaltungsmöglichkeiten erhofften und auch bewirkten.
Der Tractus XXV umfasste den Bereich des Eisenwerkes mit der Neuen Schmelz, den Neunkircher Hof und das Torhaus am Ende der Saarbrückerstraße, in der Hauptsache also den Bereich ehemaliger herrschaftlicher Güter. Mittendrin aber lag das Wohngebiet Schlawerie, das nicht herrschaftlicher Besitz war, aber doch ursächlich zum Neunkircher Bann gehörte.
Zum Zeitpunkt der Abtrennung von Niederneunkirchen gibt es unterschiedliche Meinungen: Der Neunkircher Verschönerungsverein schrieb dazu im Jahre 1911 folgendes in seinem „Führer durch Neunkirchen“ ohne leider einen Beleg dafür zu nennen: „Im Jahre 1799 trennte sich Niederneunkirchen von Oberneunkirchen ab, so dass von da ab der Ort 2 politische Gemeinden bildete. Beide Teile glaubten durch die Trennung Vorteile erlangt zu haben. Die Hüttenleute Niederneunkirchens waren nunmehr von den lästigen und in den Werksbetrieb sehr störend eingreifenden Frondiensten befreit. Neunkirchen glaubte von den erhöhten Lasten, die früher oder später ihren Steuerzahlern durch die weniger leistungsfähige Arbeiterbevölkerung des Hüttenwerkes erwachsen würden, verschont zu bleiben. Außerdem hatte Niederneunkirchen Verzicht auf seinen Anteil am bisherigen Gemeindevermögen, sowie auf verschiedene Gerechtsame und Nutznießungen geleistet. Neunkirchen zählte damals 762 Bewohner.“
Wie oben schon angemerkt, hatte der Verschönerungsverein seinen Bericht bezüglich der Jahreszahl 1799 nicht mit einem Beleg untermauert. Deshalb hier noch einmal die Sachlage, wie sie bezüglich des Eisenwerkes damals gegeben war: Nach der Ära Stockum (1748–1782) hatte der Fürst von Nassau-Saarbrücken das herrschaftliche Neunkircher Eisenwerk an die französische „Société fermière, Le Clerc, Joly et Compagnie“ verpachtet(4). 1793 besetzten die Franzosen das Land und beschlagnahmten allen herrschaftlichen Besitz und so auch das Eisenwerk. Pächter blieb die o. a. französische Firma, nun zahlungspflichtig gegenüber dem französischen Staat.
Weil der französische Staat für seine weitere Kriegsführung Geld brauchte, verkaufte er schließlich das Neunkircher Eisenwerk im Jahre 1806 an die Gebrüder Stumm(5).
Bei dieser Sachlage konnte 1799 nur die vorher genannte französische Firma ein Interesse an der Verselbständigung Niederneunkirchens haben, wie es dann wohl auch mit Wohlwollen der französischen Besatzungsmacht vollzogen wurde.
Gemäß dem Friedensvertrag von 1816 wurden ganz generell die alten Landesgrenzen wieder hergestellt, aber wohl auch die inländischen Verwaltungsgrenzen Hanns Klein schreibt zu diesem Zeitpunkt der Abtrennung von Niederneunkirchen in seinem Buch „Das Bliesrevier unter dem Preußenadler“: Glanz und Schaustück seiner (Stumms) Kommunalpolitik war die um 1850/54 zur Gemeinde erhobene Industrieenklave Niederneunkirchen. Ihre Gemarkung von insgesamt 166 Hektar, vordem Tractus 25 des Neunkircher Bannes, war alleiniges Eigentums der Firma Gebr. Stumm. Die neue Gemeinde (1865 samt Schlafhausinsassen 621 Einwohner, davon 387 Katholiken, 1885 856 Einwohner samt Schlafhäuslern) hatte einen sechsköpfigen, von Stumm als Meistbeerbten dominierten Gemeinderat und einen aus seiner Mitte vom Landrat ernannten ehrenamtlichen Gemeindevorsteher, in der Regel ein Hüttenbeamter, seltener ein Meister. Er führte dann die Gemeindegeschäfte“. Stumm hatte über einen eigenen Polizisten (später sogar einen etatmäßigen Polizeiagenten) der neuen Gemeinde die Möglichkeit auf die Handhabung der Gemeindepolizei Einfluss zu nehmen. Im Rahmen der Melde- und Fremdenpolizei, die Sicherheits- und Gesundheitspolizei, sowie die Presse-, Versammlungs- und Vereinspolizei hatte er Zugriff auf Ordnung und auch Sicherheit gefährdende Elemente in seinem Werk und in der Gemeinde. Ab dem Jahre 1847 führt die Gemeinde Niederneunkirchen wie auch die anderen Gemeinden ein Beschlussbuch. Gemäß einem Antrag der Königlich Preußischen Regierung vom 21.2.1890 beschloss der Gemeinderat von Niederneunkirchen am 25.3.1890 wohl gezwungenermaßen das Ausscheiden der Enklave Schlawerie aus seinem Zuständigkeitsbereich und die Wiedereingliederung in die Gemeinde Neunkirchen (Oberneunkirchen)(6). Sonst ist, wenn man in dieses Beschlussbuch hineinschaut, in Niederneunkirchen bis zum Jahre 1922 relativ wenig geschehen. Große Veränderung hatte es aber wohl ständig auf dem Eisenwerk gegeben. Darüber findet man in diesem Beschlussbuch aber nichts. Das war allein Sache der Eigentümer und seit 1806 der Familie Stumm. Mit der Einwilligung Niederneunkirchens war es dann per 1.4.1922 zur Gründung der Stadt Neunkirchen gekommen und Niederneunkirchen war damit praktisch wieder zum Tractus 25 des Neunkircher Bannes geworden, dokumentiert schon gleich in dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 7.4.1922, wonach die Stadtteile Neunkirchens, wie es die Post schon vorher getan habe, wie folgt zu bezeichnen seien:
• Niederneunkirchen = Neunkirchen (Saar)
• Wellesweiler = Neunkirchen-Wellesweiler
• Kohlhof = Neunkirchen-Kohlhof
• Heinitz = Neunkirchen-Heinitz
So waren Ober- und Niederneunkirchen wieder zu Neunkirchen geworden.

Doch jetzt noch ein paar Worte zu der Schlawerie:
Im Heft Nr. 5/2002 des „Historischer Verein Stadt Neunkirchen“ hat der leider verstorbene Walter Petto interessanterweise erwähnt, dass es im 18. und 19. Jahrhundert im Französischen den Begriff „éclaverie“ gegeben habe, worunter man ein Lager verstand, in welchem man schwarze Sklaven zum Abtransport nach Amerika sammelte, und er stellte fest, dass unser Wort „Schlawerie“ die französischen Endung „erie“ habe, ging aber gleichzeitig davon aus, dass dieser Begriff „Schlawerie“ nicht im französischen Sprachraum entstanden sein konnte. Er neige vielmehr dazu, dass wir es hier mit einer heimischen Wortprägung zu tun hätten. Dem muss man wohl unumwunden beipflichten.
Wenn man aber nun weiß, dass die Schlawerie eine zu Oberneunkirchen gehörende Enklave innerhalb Niederneunkirchens war, warum sollte es dann nicht möglich sein, dass man diese Ansiedlung schon im 17. Jahrhundert als eine Enklave innerhalb des herrschaftlichen Besitzes ansah, inmitten also der Ländereien des herrschaftlichen Hofes und der herrschaftlichen Eisenhütte, so erscheint es doch sehr nahe liegend, dass man von herrschaftlicher Seite her in Kenntnis des Französichen diese vor 1765 entstandene Arbeitersiedlung als eine „éclaverie“, also als eine Enklave innerhalb ihres Besitzes zu bezeichnen. Unser Wort „Enklave“ ist schließlich auch dem französischen „enclave“ entlehnt.
Aus diesem „éclaverie“, so ist meine Folgerung, wurde dann im Volksmund unser heutiges „Schlawerie“ in den unterschiedlichen alten Schreibweisen, immer niedergeschrieben nach Gehör und ohne noch das Wissen um die Herkunft dieses Namens. Die in der Franzosenzeit ab 1793 möglich gewordene Loslösung des Tractus XXV aus dem Neunkircher Bann, und diesen zum Bann von Niederneunkirchen zu machen, änderte an diesem Sachverhalt nichts. Die Schlawerie blieb auch eine Enklave in Niederneunkirchen und blieb zugehörig zur Gemeinde Oberneunkirchen. Vom französischen éclaverie zu unserem Schlaverie, das scheint mir bei allem Vorbehalt wohl doch die schlüssigste Namensdeutung zu sein. Wenn aber heute überhaupt einmal von Niederneunkirchen geredet wird, dann meint man damit zumeist die ganze Unterstadt, die von der Christuskirche bis zum Bahnhof reicht, während das beschriebene Niederneunkirchen sich vom heutigen Stummplatz aus die Saarbrücker Straße hinauf nach Westen ausdehnte.

Quellen:
1. Heinz Gillenberg: Neunkirchen - vom Meyerhof zur Stadtkern-Erweiterung
2. Archiv der Stadt Neunkirchen: Karte von 1822
3. Wie Ziff. 2
4. Bernhard Krajewski: Heimatkundl. Plaudereien, Bd. 2, S. 54
5. Wie Ziff. 4
6. Archiv der Stadt Neunkirchen: Beschlussbuch der Gemeinde Niederneunkirchen
7. Wie Ziff. 2
Werner Fried