Neunkirchen vor 100 Jahren | ||||||||
Im Jahre 1901 gab es nicht nur ein Neunkirchen | ||||||||
- 3. und letzter Teil - von Werner Fried | ||||||||
Insgesamt gab es in Oberneunkirchen 1168 und in Niederneunkirchen 81 viehbesitzende Haushalte, und dann ganz zwangsläufig auch ebensoviel größere und kleinere Misthaufen (17). In der großen Mehrzahl handelte es sich dabei um Nebenerwerbsbauern, die also noch einen anderen Beruf ausübten. So weist das Adressbuch von 1888 immerhin noch 50 Landwirte und Ackerer aus, die aber ganz gewiss auch nicht alle Vollerwerbsbauern waren. Im Adressbuch vom 1905 bezeichnen sich dagegen nur noch 8 Personen als Ackerer.
Es dominierte der bäuerliche Nebenerwerb, und der war zumeist zur Sicherung des Lebensunterhalts auch dringend notwendig. Eine Invalidenrente, von der ein alter Mensch hätte leben können, gab es noch nicht, konnte es auch nicht geben, weil es die gesetzliche Rentenversicherung erst seit dem Jahre 1889 gab, und weil es wegen der deshalb noch sehr geringen Beitragszeit auch nur eine sehr kleine Rente geben konnte. Da war es schon ein Gutes, wenn man zur Selbstversorgung über ein Stück Land und einen größeren Garten verfügte und möglichst eine Kuh, ein Schwein oder eine Ziege im Stall stehen hatte. Bei dem obligatorischen 12-Stundentag der Arbeiter, kostete dieser bäuerliche Nebenerwerb zusätzlich viel Mühe und Kraft, musste vieles von den Frauen und oft auch von den heranwachsenden Kindern getan werden. Auch die Frauen hatten da ihren 12-Stundentag und zudem war damals alles mühsame Handarbeit. Da gab es noch keine Waschmaschine, keinen Staubsauger, keinen Elektroherd, keine Küchenmaschine, keinen Kühlschrank und all die vielen Dinge, die heute die Hausarbeit wesentlich erleichtern. Nur in den Wintermonaten, wenn die Feld- und Gartenarbeit ruhte, ging es etwas gemächlicher zu. Zur Versorgung der Bevölkerung gab es dann auch die Wochenmärkte auf dem Oberen und Unteren Markt, auf denen die Bauern der Umgebung und sogar von Lisdorf her, ihre Produkte anboten. Man lebte damals überhaupt nur von dem, was der heimische Boden in der jeweiligen Jahreszeit hergab oder von den entsprechenden Vorräten, die man sich angelegt hatte. Das erste frische Gemüse war im Frühjahr der „Bettseijer“, und das endete im Herbst mit den verschiedenen Kohlarten und Rüben. Die Vielfalt an Obst und Gemüse, die es heute, oft weit hergeholt zu allen Jahreszeiten gibt, gab es damals noch nicht. 1901 z.B. waren Tomaten noch völlig unbekannt. Erst nachdem 1.Weltkrieg kamen diese auf den Markt, um dann später auch hier angepflanzt zu werden. Im übrigen gab es in jeder größeren Straße damals noch ein kleines Lebensmittelgeschäft, einen „Tante-Emma-Laden“, wie man heute gerne sagt, und meist auch eine Bäckerei und Metzgerei. Neben den Wochenmärkten gab es jährlich noch drei Jahrmärkte, und zwar in den Monaten Mai, August und Oktober. Aus dem Jahrmarkt im August ging dann später die Neunkircher Kirmes hervor. Trotz aller Mühsal, die das Leben damals mit sich brachte, blühte dennoch auch das kulturelle Leben, was man daraus ersehen kann, dass es z.B. laut dem Adressbuch von 1905 in Neunkirchen 11 Gesangvereine, 10 Militärvereine und die folgenden 4 Sportvereine gab: Den Athletenverein „Siegfried“ im Gasthaus Peter Jung in der Königstraße, den Kraft-und Sportklub „Deutsche Eiche“ im Gasthaus Dörr in der Hüttenbergstr. 43, den „Turnverein“ ebenfalls im Gasthaus Dörr, und die „Turngesellschaft“ im Gasthaus Vogel in der Hohlstraße 21. Darüber hinaus gab es noch 96 sonstige Vereine mit ihren Vereinslokal in 65 Gasthäusern. Im Kaiserhof in der Brückenstraße dessen Saal, später zur Herz-Jesu-Kirche umgestaltet wurde (die stand damals in der Brückenstr. – gegenüber der Einmündung Goethestr.), gastierte in gewissen Abständen das Stadttheater von Kaiserslautern. Doch neben dem Kaiserhof gab es noch ein rundes Dutzend weiterer Säle mit jeweils 140 bis 800 und insgesamt etwa 5000 Sitzplätzen. Allein das Vorhalten so vieler Säle und Sitzplätze zeugt schon von einer regen kulturellen Aktivität, die ihre Fortsetzung auch in den vielen Vereinslokalen gefunden hatte. Im Archiv der Stadt Neunkirchen fehlen leider die meisten Zeitungen aus dem Jahre 1901, so dass es schwierig ist, die Veranstaltungen, die während des ganzen Jahres stattfanden zu dokumentieren, wohl aber für den Monat Oktober. In diesem Monat gab es 30 große und kleinere Veranstaltungen, von 2 Gastspielen des Kaiserslauterer Stadttheaters und einem Kirchenkonzert bis zu vielen kleinen Künstlerkonzerten in den verschiedenen Gasthäusern. Die „Fasenacht“ wurde natürlich auch gefeiert. Leider ist da vom Monat Februar nur eine einzige Anzeigenseite der Saar– und Blies–Zeitung erhalten, auf der aber immerhin 3 große Veranstaltungen angekündigt werden: Von der Turngesellschaft ein Großer Maskenball im Vereinslokal in der Hohlstraße. Vom „Adlerklub“ für den Samstag eine närrische Kappensitzung und für den Sonntag eine Damensitzung im Vereinslokal Schmeer in der Schloßstraße. Vom Verein „Eintracht“ vier große karnevalistische Abendveranstaltungen beim Friedensvater am Heusnersweiher, das war im Saal des Metzgers und Gastwirtes Fritz Fried. Man darf aber davon ausgehen, dass auch die meisten anderen Vereine ihre entsprechenden größeren oder kleineren Veranstaltungen hatten. Doch wenn man in diesen Veranstaltungen auch völlig ausgelassen und närrisch feierte, so gab es dann doch auch bezüglich der Maskierung eine Polizeiverordnung vom 11.3.1850 - abgedruckt im Adressbuch von 1888 - in der es wörtlich hieß: §1) Masken und Maskeraden auf Straßen und öffentlichen Plätzen sind nur an den drei Fastnachttagen nach dem Vormittagsgottesdienst erlaubt. Für Masken und andere geordnete Umzüge ist um die polizeiliche Genehmigung unter Einreichung des Programms 24 Stunden vorher besonders nachzusuchen. §6) Alle maskierten Personen, die auf Straßen, Bällen und sonstigen, den öffentlichen Lustbarkeiten gewidmeten Orten erscheinen, müssen mit einer, von dem Bürgermeisteramte ausgestellten gültigen Karte legitimiert sein. Diese Karte, wofür eine Armenabgabe von 40 Pfennig entrichtet werden muss, ist für den Tag der Ausstellung und die darauf folgende Nacht gültig und in sichtbarer Weise an der Vorderseite der Kopf oder Brustbekleidung zu befestigen und zu tragen. Die Ausgabe dieser Karten erfolgt durch den Rendanten des Armen-Vereins. So meldete die Saar- und Blies-Zeitung am 9.2.1901, dass die erforderlichen Maskenkarten bei den Zigarrenhändlern Rettig und Bernheim, sowie auf der Polizeiwachstube beim Bürgermeisteramt ausgegeben werden. Kaum aber waren im Jahr 1901 die 3 tollen Tage vorbei, da eilte die Nachricht durch Neunkirchen vom Tod des Geheimen Kommerzienrates, Freiherrn von Stumm-Halberg und Reichstagsabgeordneten, Karl Ferdinand Stumm; gestorben am 8. März dieses Jahres. In der Aula des Knabengymnasiums, dessen Bau Stumm sehr gefördert hatte, würdigte ihn in der gemeinsamen Sitzung der Bürgermeisterei-und Gemeindeverordneten vom 11. März der Bürgermeister Ludwig, in einem Nachruf wie folgt: Hier in gekürzter Form, wie es im Beschlussbuch der Gemeinde niedergeschrieben ist: „Wir verlieren in ihm einen wahren Freund und Wohltäter unserer Gemeinde, den bewährten Führer in vielen wichtigen Fragen; den tatkräftigen Förderer alles Guten und Nützlichen. Er hat den Namen unseres Ortes in aller Welt zu Ehren gebracht; die hohe Blühte seines Werkes ist ein Segen für die ganze Gemeinde, auf demselben finden Tausende unserer Mitbürger in guten und bösen Tagen das tägliche Brot, für sie ist auch für die Zeit der Krankheit und des Alters gesorgt, auch ihre Witwen und Waisen sind nicht verlassen. So, wie der Verstorbene stets an seiner Heimat gehangen, wird auch unsere Gemeinde wie immer Freud und Leid der Familie Stumm teilen und dem Verewigten ein unvergeßliches Andenken bewahren.“ Noch 3 Wochen vorher, am 11. Februar wurde im Beschlussbuch der Gemeinde vermerkt, dass der Freiherr von Stumm-Halberg zur Erleichterung der Gemeindekasse 10000 Mark zugeschossen habe, und dass er zum Ausbau des Progymnasiums zum Realgymnasium auf 10 Jahre jährlich 20000 Mark zuschießt. Das Leben aber ging weiter, und so rollten auch weiterhin die vielen Pferdefuhrwerke durch die Bahnhofstraße, was auch dadurch bedingt war, dass es bis 1901 nur die Bliesbrücke in der Bahnhofstraße gab, und ansonsten nur noch die weit abgelegene Brücke bei der Böcking’schen Mühle. Daneben gab es nur noch hölzerne Stege an Stelle der Brücke in der heutigen Brückenstraße und an Stelle der späteren Mozartbrücke. Man war aber gerade dabei, die stählerne Brücke in der Brückenstraße zu bauen. Der Güterbahnhof war noch am alten Platz mit seiner Zufahrt an der späteren Gaststätte 1-2-3 vorbei, doch es gab schon Pläne zu seiner Verlegung in die Geßbach mit einer Zufahrt auch unter der Eisenbahnlinie hindurch von der Wellesweilerstraße her. Neu gebaut wurde in diesem Jahr auch das Kassengebäude in der Vogelstraße, und in der Bahnhofstraße 52 befand sich seit 1893 die Herberge zur Heimat, in der jährlich mehr als 4000 Handwerksburschen übernachteten und verpflegt wurden. Seit 1863 gab es schon den Bahnhof an der jetzigen Stelle, seit 1884/85 das Amtsgerichtsgebäude, seit 1892 den Schlachthof, seit 1900 das Gymnasialgebäude in der Oststraße, und gerade am 19.3.1901 wurde das Postamt in der Bahnhofstraße seiner Bestimmung übergeben. Die zweite Brücke über die Blies, die Brücke in der Brückenstraße war im Dezember 1901 im Rohbau erstellt und ging nun ihrer Vollendung entgegen. Vieles andere aber gab es noch nicht, wie z.B. den Saalbau, das Polizeipräsidium und das Finanzamt. Auch die „Borussia“ und ihr Sportplatz im Ellenfeld gab es noch nicht. Ein solcher Rückblick muß da immer lückenhaft bleiben, kann nur ein grober Überblick sein, wie er mir hoffentlich gelungen ist. Zum Schluß noch in stenographischer Kürze, was die leider nur teilweise erhaltene Saar- und Blies-Zeitung während des Jahres 1901 an Wichtigem zu melden hatte: 4.1.: Karl Schneider hat am 21.12.1900 seine Augen- und Ohrenklinik eröffnet. Am 20. Jan. Jubelfeier im Kaisersaal zum 200jährigen Bestehend des Preußischen Königshauses. Die Wiesen „Unter den Linden“ wurden unter Wasser gesetzt um eine Eisbahn zu bekommen. 9.2.: Maskenkarten werden bei den Zigarrenhändlern Rettig und Bernheim und auf der Polizeiwachtstube ausgegeben 13.3.: Langer Bericht über die Beisetzung des verstorbenen Freiherrn von Stumm-Halberg. 22.3.: Der verstorbene Freiherr von Stumm-Halberg hatte die Absicht, anläßlich der in einigen Jahren anstehende Gedenkfeier des 100-jährigen Familienbesitzes eine Stiftungzu machen. Dem entsprachen nun die Erben und stellten dazu 500.000,- Mark bereit. Die Stiftung soll „Karl-Ferdinand-Stiftung“ heißen. 1.5.: Gestern verstarb der Pfarrer Riehn. Bei genügender Beteiligung wird von Mai bis August täglich Stangeneis ins Haus geliefert. Eine Stange zu 9 Mark. Anmeldung beim Bürgermeisteramt. 4.10.: Der Kaiser hat den zur Reserve entlassenen China-Kriegern das Militärverdienstkreuz oder das Militär-Ehrenzeichen verliehen. Militärische Sicherheits- und Ehrenposten müssen vor diesen Zivilisten mit „Gewehr über“ stillstehen. 9.10.: Der gestrige Oktobermarkt litt sehr unter der Witterung. Den unteren Teil der Hüttenbergstraße zierte nur ein einziger Stand, während sich von der kath. Kirche bis zum Oberen Markt einer an den anderen reihte. 15.10.: Infolge der Siegesnachrichten, die alle Burenfreunde mit Hoffnung beleben, sind weiterhin erwünscht: Starke Kleider, warme Wäsche, Decken, starke Schuhe und stärkende Lebensmittel, die an eine Hamburger Adresse zu senden sind. Das nächste Schiff mit der 4. Sendung geht am 30. d. Mts. ab. 17.10.: Im Bezirk des 8.Armeekorps ist in Neunkirchen für einen Militäranwärter eine Polizeidienststelle offen (1200 M Gehalt, 150M Wohngeldzuschuß für Verheiratete und 75 M für Ledige, ferner 105 M Kleiderbeihilfe und alle 3 Jahre 45 M für einen Mantel). Helm, Säbel, Koppel und Achselstücke werden leihweise zur Verfügung gestellt. Weihnachtspakete für die ostasiatische Brigade müssen bis 20.10. in Hamburg sein. 25.10.: Zirkus auf dem Leidner’schen Bauterrain an der Bliesbrücke. Die Witwen verstorbener Inhaber des Militärehrenzeichens und des Allgemeinen Ehrenzeichens Erster Klasse können, wenn sie bedürftig sind, für die Rückgabe derselben 45 M erhalten. 14.11.: Neueröffnung des Geschäftshauses Jos.Levy Wwe. Hüttenbergstraße 4. 4.12.: Sonderzüge fahren zum St. Wendeler Nikolausmarkt. 9.12.: Die Brücke in der Brückenstraße ist im Rohbau fertig. 20.12.: Als eine Werbung unter vielen, die Werbung des Gastwirtes Christian Fried am Oberen Markt 13. Samstag, Sonntag und Montag großes Künstler-Konzert, Xylophon-Künstler, Salon-Jongleur, der dumme August, der ungeschickte Jongleur, der Miskal-Exzentric-Clown, der Instrumentalist, der Musikal-Equilibrist, der Schnellkarikaturzeichner, und der Jongleur in tausend Ängsten. Solche und ähnliche Anzeigen findet man das ganz Jahr über in der Zeitung. Neben den Veranstaltungen der Vereine waren das damals die einzigen Unterhaltungsmöglichkeiten. Als Sensation gab es zwar schon einige bewegte Bilder als Vorstufe zum Stummfilm, mehr aber noch nicht, weder Kino, Radio noch Fernsehen. Mehr ins Detail gehend, wäre da sicher noch über vieles andere, zu berichten, und darüber, was es damals alles gab oder noch nicht gab, wie natürlich auch über Handel und Gewerbe, Gruben und Eisenwerk, worüber in anderen Schriften und Büchern schon ausführlich berichtet wurde. Hier ging es mehr um die Zeichnung eines Bildes von dem alltäglich Neunkirchen des Jahres 1901, das mir hoffentlich ein bisschen gelungen ist. |
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– Ende –
Fotos: Archiv Horst Schwenk |
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Hinweis der Redaktion: In der Ausgabe 042/Oktober 2001 zum Artikel „Neunkirchen vor 100 Jahren“ unseres Stadtmagazins „es Heftche“ auf Seite 23, wurden aus versehen die Bildunterschriften vertauscht. Wir bitten um Entschuldigung |