Historischer Verein
Stadt Neunkirchen e.V.

Historischer Verein Stadt Neunkirchen e.V.

 
Was uns die Bliesbrücke erzählt
Die Geschichte einer Brücke aus Neunkirchen
 
 
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Die von Friedrich Joachim Stengel 1769 erbaute Bliesbrücke um 1905.
Foto: Archiv Schwenk 108/10

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Die Bliesbrücke mit dem 1841 errichteten Gasthof zur Lindenallee (rechts) und dem 1861 errichteten Hotel Jochum. Foto: Archiv Schwenk 201/30

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Essenträgerinnen, wie man sie bis 1918
hier sehen konnte.
Wenn ich hier als Eure Bliesbrücke meine Geschichte und die meiner Vorfahren erzähle und auch davon, was so drum herum über die Jahrhunderte hier alles geschehen ist, so muss ich vorab einmal bekennen, dass es mir bei allem Nachforschen leider nicht anders erging, wie Euren Ahnenforschern auch. So bin ich schließlich an einem Punkt angelangt, wo es rückblickend wohl kein Weiterkommen mehr zu geben scheint. Immerhin konnte ich meine Ahnenreihe bis zum Jahre 1441 zurückverfolgen. Aus diesem Jahr ist nämlich urkundlich belegt, dass es hier an meinem Standort bereits eine steinerne Brücke gegeben hat. Es war eine Brücke über die man damals von Neunkirchen zu dem Dorf Alsweiler am Biedersberg gelangte. Zu verdanken habe ich diese Kenntnis einer aktenkundigen Streitsache in der die Brücke erwähnt wird. Darin wurde es den Neunkircher Bauern untersagt, ihr Groß- und Kleinvieh über diese Brücke auf Alsweiler Gebiet zu treiben. Wann diese Brücke aber tatsächlich gebaut wurde, das geht aus diesem Aktenstück leider nicht hervor. Wenn ich aber davon ausgehe, dass Neunkirchen schon seit 1281 urkundlich belegt ist, dann hat es wohl auch um diese Zeit hier bereits einen Übergang über die Blies gegeben. Ursprünglich vielleicht eine Furt, dann eine Holzbrücke und letztlich die erwähnte Steinbrücke.
Um das Jahr 1500 herum war das Dorf Alsweiler untergegangen. Was der Grund dafür war, war nicht herauszufinden, vielleicht war es die eingeengte Lage zwischen Kuchenberg und Blies. Vielleicht sind seine Bewohner aber einfach nach Neunkirchen übersiedelt, weil sie dort mehr Entwicklungsmöglichkeiten erhofften. Interessant ist, dass nach relativ kurzer Zeit seit dem Untergang von Alsweiler, nämlich im Jahre 1570 auf Betreiben des Grafen Johann IV von Nassau-Saarbrücken mit dem Bau des Neunkircher Jagdschlosses, dem Renaissanceschloss auf dem Oberen Markt begonnen wurde. Das war vielleicht ein Grund dafür, dass man die Brücke damals so vernachlässigte, bis sie schließlich in sich zusammenbrach. So kam es, dass sie bereits auf der Tilemann-Stella-Karte aus dem Jahre 1564 nicht mehr verzeichnet ist. Nur in Wellesweiler und in Wiebelskirchen gab es nach dieser Karte jetzt noch je eine Brücke über die Blies.
Irgendwann aber, vermutlich einige Zeit nach dem 30-jährigen Krieg (1618-48), ist dann wieder eine neue Vorfahrin von mir, eine neue Brücke entstanden, wenn auch zunächst wieder als einfache Holzbrücke. Wann das genau geschehen ist, konnte ich bislang nicht herausfinden. Ich weiß nur, dass es sie im Jahre 1731 schon wieder gegeben hat, denn in der Gemeindeordnung aus diesem Jahr wird sie ausdrücklich erwähnt. Im Jahre 1762 aber ging es ihr sehr schlecht. Das Holz war wohl morsch geworden, so dass der Fürst Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken seinem Generalbaudirektor Friedrich Joachim Stengel den Auftrag erteilte, hier eine neue Brücke zu bauen. Es wurde eine dreibogige Steinbrücke mit auf Sockeln stehenden Pfeilern und höher als die alte Holzbrücke, die immer wieder unter dem Hochwasser der Blies zu leiden hatte. 1769 konnte sie endlich dem Verkehr übergeben werden und das betrachte ich jetzt als meine Geburtsstunde. Ich konnte auch wirklich stolz sein auf meine so schwungvolle Gestalt, die mir der Baumeister Stengel gegeben hatte.
Leider stand ich damals, abgesehen von der nahe gelegenen Eisenhütte, weit weg vom alten Dorf Neunkirchen, das es um diese Zeit ja nur um den heutigen Oberer Markt und um die dort 1727 neu errichtete Kirche herum gab. Ich diente hauptsächlich dem eher spärlichen Überlandverkehr von Ottweiler über Neunkirchen nach Saarbrücken. Aber es herrschte tiefer Frieden und manche Fuhrwerke, Kutschen und reiterliche Boten zweigten bei mir ab und nahmen den Weg zu dem alten Renaissanceschloss am Oberen Markt und später zu dem ab 1753 entstehenden neuen Barockschloss Jägersberg in der heutigen Schlossstraße.
Ich selbst, gerade ein Jahr in Betrieb, bekam 1770 den ersten hohen Besuch, nämlich von dem damals noch jungen Johann Wolfgang Goethe. Er kam wohl über die erwähnte Landstraße von Saarbrücken her und ganz sicher bestaunte er auch mich, das Stengel’sche Meisterwerk. Vielleicht ist er ja auch über mich hinweg geschritten oder geritten. Er war ja damals noch nicht als der große Goethe bekannt. Sein Weg führte von mir zum herrschaftlichen Schloss Jägersberg von wo er auch die herrschaftliche Eisenhütte beobachtete und deren funkensprühende Tätigkeit in der Nacht beschrieb. Zunächst folgten nun erstmal noch 23 recht friedliche Jahre, und gerne denke ich an diese schöne Zeit zurück.
Dann aber kam der Krieg. Im Frühjahr des Jahres 1793 waren die französischen Revolutionstruppen bis nach Neunkirchen vorgedrungen und plünderten das Schloss Jägersberg völlig aus. Es folgten dann immer wieder Scharmützel und Kämpfe auch über mich, die Stengel’sche Brücke hinweg. Mal war Neunkirchen in französischen und dann wieder in deutschen Händen. Bei diesen Kämpfen mit dabei war der spätere preußische Feldmarschall Blücher. Er soll kurzzeitig sogar im Dorf Neunkirchen gewohnt haben, vielleicht ja gerade in dem Haus in der heutigen Irrgartenstraße, in dem im Jahre 1770 schon Goethe gewohnt hatte. Neunkirchen war ja immer noch ein kleines Dorf mit vielleicht 100 Haushaltungen und bot deshalb ohnehin nur wenige Unterkunftsmöglichkeiten.
Alle Kämpfe aber waren schließlich vergebens. Am 18 November 1793 musste ich erdulden, dass die Franzosen mit neuen Zielen über mich hinweg zogen. Sie setzten ihren Siegesmarsch fort und erzwangen schließlich den am 5. April 1795 in Basel geschlossenen Friedensvertrag, wonach Preußen auf die Zurückeroberung allen Landes links des Rheines verzichteten. Damit war die Herrschaft der Franzosen auch über die Grafschaft Saarbrücken endgültig besiegelt. Die Grafen verloren alle Rechte. Ihre bis dahin herrschaftlichen Güter wurden beschlagnahmt und zu französischem Staatsbesitz gemacht.
Im dörflich bäuerlichen Bereich aber änderte sich zunächst kaum etwas. Da lebte man nun einfach ohne das fürstliche Reglement weiter, dis es dann nach und nach zu einer französischen Verwaltung kam. So blieb z. B. der Meyer Johann Adam Schäfer auch nach der französischen Besetzung im Amt, wenn auch nun gegenüber den Franzosen rechenschaftspflichtig. Man lebte aber jetzt in einer Umbruchzeit, während der nicht alles bis ins Kleinste geregelt war, die aber auch neue Möglichkeiten eröffnete. Eine solche Möglichkeit bot sich z. B. für die Gemeinde Neunkirchen insoweit, als man sich ohne dazu eine Genehmigung einzuholen einfach dahingehend einigte, den Tractus 25 aus dem Gemeindebann herauszulösen und zu einer eigenen Gemeinde, der Gemeinde Niederneunkirchen, zu machen. Dies geschah wohl offenbar im Jahre 1799 und vielleicht auch gegen den Willen des Meyers Adam Schäfer, denn gerade in diesem Jahr ist er durch den neuen Meyer Georg Wohlfahrt abgelöst worden. Von da an gab es dann die größere Gemeinde (Ober-)Neunkirchen und die kleinere Gemeinde Niederneunkirchen. Ich selbst, die ganze spätere Bahnhofstraße bis zum Kuchenberg und alles Land östlich davon, das alles blieb Oberneunkirchen. Nachfolgend will ich aber nur vom gesamten Neunkirchen reden.
Das inzwischen hereingebrochene neue Jahrhundert sollte aber schon bald wieder eine große Wende bringen. Im Winter 1812/13 wurde nämlich das bis dahin siegreiche große Heer der Franzosen in Russland vernichtend geschlagen und durch diese Niederlage ausgelöst begannen die Befreiungskriege. So kam es dann, dass im Winter 1813/14 die französischen Truppen geschlagen und zerschunden zum Teil auch über mich hinweg nach Frankreich zurückfluteten. Es dauerte aber noch bis zum Januar 1814 bis der Feldmarschall Blücher mit den preußischen Truppen von Ottweiler kommend den Franzosen hinterher über mich hinweg stürmte.
Die deutschen Lande waren nun von der Franzosenherrschaft befreit, und gemäß dem Zweiten Pariser Frieden vom November 1815 galten wieder die alten Grenzen, wie sie bis 1793 zwischen Deutschland und Frankreich bestanden hatten. Auf dem Wiener Kongress im Juni 1815 kam zu einer Neuordnung Europas. Auch innerhalb Deutschlands gab es eine Neuordnung. Die Grafschaft Saarbrücken wurde nicht wieder errichtet. Sie wurde vielmehr Teil der preußischen Rheinprovinz und zugehörig zu deren Regierungsbezirk Trier. Ich war also jetzt zu einer preußischen Brücke geworden und die Straße, die über mich führte erhielt nun ganz offiziell die Bezeichnung Provinzialstraße.
Es folgten nun wieder ruhige friedliche Zeiten. Die Fuhrwerke und Kutschen rollten wieder wie ehedem über mich hinweg, ja zunehmend auch immer mehr, denn Neunkirchen begann langsam den Hüttenberg hinunter zu wachsen, wie das anhand der wachsenden Bevölkerungszahl deutlich wird. Gab es z. B. 1809, also während der Franzosenzeit, in Neunkirchen noch rund 1400 Einwohner, so hatte sich die Zahl bis zum Jahre 1848 mit rund 2700 Einwohnern fast verdoppelt. Hauptsächlicher Grund dafür war der wirtschaftliche Aufschwung des seit 1806 im Besitz der Familie Stumm befindlichen Eisenwerks und der 1821 angehauenen Grube König, den beide hatten einen ständig wachsenden Bedarf an Arbeitskräften. Dieses Wachstum erhielt noch einen zusätzlichen Schub durch die Anbindung Neunkirchens an die pfälzische Eisenbahn im Jahre 1853 und die Fertigstellung der Rhein-Nahe-Bahn im Jahre 1860.
Auch um mich herum gab es immer wieder etwas Neues. So hatte zum Beispiel der Peter Jochum hier nahe bei mir schon 1841 den „Gasthof zur Lindenallee“ errichtet und zwar mit einem dahinter liegenden großen Ökonomiegebäude, in welchem sich zeitweise Stallungen für die Dragoner von Ottweiler befanden.
Um das Jahr 1850 herum hat dann auch die Familie Stumm ihre Privatkapelle, die so genannte Stumm’sche Kapelle errichtet. Um die gleiche Zeit bekam ich noch eine kleine Schwester nämlich eine Brücke über den Heinitzbach, der bei mir in die Blies mündete. Zuvor floss er wohl durch einen Dolen unter der Straße hindurch. Erst über die Brücke kam man zum Eisenwerk, und über diese Brücke kamen bis zum Jahre 1918 jeden Tag die Essenträgerinnen, die ihren Männern das Mittagessen brachten, die bis dahin ja damals täglich noch 12 Standen arbeiten mussten.
Etwas ganz und gar Neues gab es für Neunkirchen im Jahre 1861. In diesem Jahr baute nämlich der Isaak Bloch direkt bei mir an der Blies eine Dampfmühle, die nun vom Wasserstand der Blies unabhängig das ganze Jahr in Betrieb sein konnte, was ja gegenüber den Wassermühlen ein großer Fortschritt war.
– Fortsetzung folgt –
Ende Teil 1
Werner Fried