Historischer Verein
Stadt Neunkirchen e.V.

Historischer Verein Stadt Neunkirchen e.V.

 
Was uns die Bliesbrücke erzählt
Die Geschichte einer Brücke aus Neunkirchen
 
2. Teil
 
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Die 1901 an Stelle der Leidner’schen Holzbrücke in der Brückenstraße errichteten Brücke Foto: Archiv Schwenk 238/20

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Das 1899 von der Rhein.-Kredit-Bank in der Brückenstraße gebaute und später zur Deutschen Bank gehörende Haus. Vorne links Holzsteg an Stelle der durch Hochwasser zerstörten Holzbrücke.
Foto: Archiv Schwenk 228/8
Ein Jahr später 1863 gab es aber der Dampfmühle großen Ärger für die Fuhrleute, hatte man doch hier eine Schranke errichtet, an der sie, wenn sie zum Neunkircher Bahnhof wollten, ein Wegegeld entrichten mussten. Ihr Protest hatte nur wenig Erfolg, und erst im Jahre 1865 wurde die Schranke hier wieder entfernt. Sie wurde zunächst auf den Kuchenberg verlegt und erst ein weiteres Jahr später ganz abgeschafft.
Weitere vier Jahre später begann der Deutsch-Französische Krieg (1870/71), und schon wieder einmal wurde ich eine ­Brücke für das Militär. Viele Truppenteile kamen teils mit der Bahn und teils in langen Fußmärschen nach Neunkirchen und marschierten über mich hinweg in das Dorf wo sie vorübergehend Quartier bezogen und versorgt werden mussten. Für Neunkirchen und seine Bewohner war das eine große Belastung. So wurden z. B. in nur einem Monat rund 15500 Essenportionen ausgegeben. Die Truppen aber zogen weiter zum Kampf gegen Frankreich. Es währte nicht lange und schon kamen viele Verwundete nach Neunkirchen zurück und mehr als die Lazarette aufnehmen konnten. Man musste also Hilfslazarette einrichten. Der Krieg ging siegreich zu Ende und der preußische König kehrte als Kaiser Wilhelm I. nach Berlin zurück. Neunkirchen aber erlebte des ungeachtet einen rasanten Aufschwung. So hatte sich z. B. von 1848 bis 1900, also in 50 Jahren, die Zahl seiner Einwohner um das Zehnfache, nämlich von 2700 auf 27.000 erhöhnt. Diese Aufwärtsentwicklung ging unaufhaltsam weiter und damit auch der notwendige Wohnungs- und Straßenbau. Allein 1893 gab er z. B. 116 Bauanträge.
Ich stand schon längst nicht mehr allein in den Breitwiesen, wie man die Gewann hier nannte. Neunkirchen, ohne noch Stadtrechte zu beisitzen, wurde um mich herum immer städtischer. Unverkennbar aber war immer noch seine bäuerliche Herkunft, wie z. B. eine Viehzählung ausweist, wonach es im Jahre 1900 hier noch 682 Pferde, 2 Maul­esel, 1162 Rinder, 2317 Schweine, 11106 Stück Federvieh, 103 Ziegen und Schafe und sogar noch 221 Bienenstöcke gab. 1923 sah man sich sogar noch zur Anschaffung einer Dreschmaschine genötigt. Was die Bautätigkeit anbelangt, muss ich schnell noch etwas aus dem Jahre 1861 berichten. In diesem Jahr baute der Louis Jochum an den schon 1841 errichteten „Gasthof zur Lindenallee“ ein teils zwei- teils drei­stöckiges Hotel an, dem 1894 noch ein Speisesaal hinzu gebaut wurde. Das Hotel firmierte nacheinander als Hotel Jochum, Hotel Jochum-Mester und als Hotel Mester. Nach der Jahrhundertwende war das Hotel kurzzeitig zum Hotel Kölner Hof geworden, ging 1903 in den Besitz von Johann Fuchs und dessen Frau, eine geborene Jochum über. Wahrscheinlich mit seiner Übernahme durch die Schlossbrauerei im Jahre 1905 ist es dann zum „Hotel Halberg“ geworden. Aber aus der Zeit zwischen 1848 und 1900 muss ich doch noch ein bisschen mehr erzählen. Da gab es z. B. noch keine Asphaltstraßen. Alle Straßen waren wenn überhaupt nur geschottert und versehen mit einem Straßengraben. Erst um 1880 begann man damit, die Rinnen zu pflastern. Es waren besonders im Sommer sehr staubige Straßen und deshalb fuhr man mit Sprengwagen (Fuhrwerk mit einem großen Holzfass) durch die Hauptstraße, um den Staub mit dem versprühten Wasser etwas zu binden.
Die immer größer werdende Einwohnerzahl brauchte auch immer mehr Wasser, so dass die Brunnen bald nicht mehr ausreichten. Ich kann mich noch gut erinnern als man deshalb eine Wasserleitung vom Fischkastenbrunnen bis zum Eisenwerk und dann unter mir hindurch bis zum Bahnhof verlegte. Diese Leitung versorgte zunächst einige öffentliche Brunnen. Ab 1877 begann dann die Verlegung von Wasserleitungen durch die Straßen und zu jedem Haus. Das Wasser dazu kam nun von dem neuen Wasserwerk in Wellesweiler. Da das Wasser nun über die Wasserleitung unbegrenzt zur Verfügung stand, wurde ganz zwangsläufig auch mehr Wasser, nicht zuletzt auch wegen der zunehmenden Einwohnerzahl, verbraucht. Die weitere Folge davon war eine steigende ­Abwassermenge, die zunächst über die gepflasterten Rinnen zu Blies floss, was aber kein Dauerzustand bleiben konnte. So ­begann man schließlich ab den 1880er Jahren mit dem Bau von Kanälen, die aber die Abwässer auch nur ungeklärt in die Blies leiteten. Bis dahin war die Blies noch ein glasklares Gewässer, und wenn ich da hineinschaute, konnte ich immer den Fischen zusehen, wie sie sich darin tummelten und wohl fühlten. Zunächst hatte die Blies auch noch genügende Selbstreinigungskräfte, so dass die Gemeinde Neunkirchen 1896 hier noch einen Fischereibezirk einrichten konnte, der von mir bis zur Banngrenze reichte. Die Fischereirechte hatte sie dann verpachtet.
Im Jahre 1893 hatte die Gemeinde sogar noch die Einrichtung einer Flussbadeanstalt bei der Böcking’schen Mühle genehmigt. Die Verschmutzung der Blies aber nahm mehr und mehr zu, insbesondere auch wegen der vermehrten Abwässer vom Eisenwerk und von der Grube. So kam es im Jahre 1899 dann auch zu einer ersten großen Beschwerde der Wellesweiler Bauern. Diese hatten nämlich ihre Wiesen durch die Berieselung mit dem Wasser der Blies restlos verdorben. Eine Abhilfe aber gab es nicht. Die Blies war mehr und mehr zu einem lebensfeindlichen Abwasserkanal geworden, was sich erst nach dem 2. Weltkrieg ändern sollte. Was aber ganz interessant ist, und was es wohl nur in Neunkirchen gegeben hat, das ist die Tatsache, dass es, bevor überhaupt das Wasserwerk gebaut und die Wasserleitungen verlegt wurden, hier schon Gasleitungen gab. Schon 1864 hatte nämlich Anton Krechel eine Gasfabrik gebaut und zwar in der später nach ihr benannten Gasstraße. Bis dahin kannte man ja zur Beleuchtung der Wohnungen und Straßen nur Petroleumlampen, die nun langsam durch Gaslampen ersetzt wurden. Zum Heizen und Kochen aber blieb der Kohlenherd noch lange unangefochten. Der bequeme Gasbackofen musste erst noch erfunden werden.
Und was mich betrifft, Eure Stengel’sche Bliesbrücke, so verfügte ich, wie alle Straßen damals auch, ursprünglich nur über eine Fahrbahn und nicht auch über Bürgersteige. Ich selbst war beiderseits der Fahrbahn mit einer Brüstungsmauer versehen. Irgendwann aber im 19. Jh., das genaue Datum weiß ich leider nicht mehr, bekam ich statt dieser Brüstungsmauern ein schönes kunstvoll gestaltetes eisernes Geländer, auf das ich damals auch sehr stolz war. Bei dem ständig wachsenden Verkehr, und insbesondere beim Gegenverkehr der Fuhrwerke, wurde es auf meiner Fahrbahn langsam zu eng und für die Fußgänger nicht selten auch gefährlich.
Bei den Straßen hatte man inzwischen ja schon damit begonnen Trottoirs, so nannte man damals die Bürgersteige, anzulegen. Bei mir aber war das nicht möglich. So kam es 1896 zum Beschluss, mich um diese Trottoirs zu verbreitern, was dann auch geschah. Leider musste ich bei dieser Gelegenheit auf mein schönes altes Geländer verzichten. Stattdessen bekam ich ein weniger schönes aber dafür stabileres Eisengeländer.
Aller Verkehr, oder fast aller Verkehr, vom einen zum anderen Ufer der Blies floss aber nach wie vor über mich hinweg. Zwar gab es neben mir im Zuge der heutigen Brückenstraße noch eine private hölzerne Brücke des Wilhelm Leidner. Für deren Benutzung musste man jedoch eine Gebühr, ein Brückengeld entrichten. Zudem war sie öfter reparaturbedürftig und deshalb zeitweise nicht zu benutzen. Das Hochwasser und der winterliche Eisgag setzten ihr oft sehr zu. Nach langem Hin und Her fasste die Gemeinde Neunkirchen im Jahre 1899 den Beschluss, an ihrer Stelle eine neue stabile Brücke zu bauen. Die Besitzer der alten Brücke, jetzt Wilhelm Leidner und Philipp Mundorf steuerten dazu sogar einen Betrag von 25 000 Mark bei. Auf diese Weise kam ich dann 1902 zu einer Schwester oder eigentlich zu einer Nachbarin. Sie war ja nicht blutsverwandt mit mir, war sie doch nicht aus Stein sondern aus Eisen. Eine große Einweihungsfeier gab es damals nicht. Das lag dem damaligen Bürgermeister Ludwig wohl nicht so sehr. Aber wenn ich ihn schon erwähne, dann muss ich auch berichten, dass er von 1885 bis 1888 ja seinen Amtssitz direkt bei mir hatte und zwar in dem Haus Nr. 52. Dieses Haus, das bereits seit 1875 das Bürgermeisteramt war, wurde später zu dem allseits bekannten Krefelder Seidenhaus.
Schon vor dem Bau der Brücke in der Brückenstraße, aber wohl in der sicheren Erwartung, dass sie gebaut wird, hatte die Rheinische-Kredit-Bank bereits im Jahre 1899 direkt bei der Blies ihr prächtiges villenartiges Dienstgebäude errichtet, das später in den Besitz der Deutschen Bank überging.
Dieses Bankgebäude war aber nur eines der vielen vor 1900 errichteten und besonders herausragenden Neunkircher Gebäuden, und dazu zähle ich noch: 1850 das Knappschaftslazarett in der Wellesweilerstraße, das 1888 zum Bürgermeisteramt wurde – 1853 die Schlossschule – 1853 die Schlossbrauerei – 1859 die Gerichtsschule – 1860 der Bahnhof an heutiger Stelle – 1865 die Synagoge – 1866 die Viktoriaschule – 1869 die Christuskirche – 1869 die Pauluskirche – 1872 das Viktoriahospital, besser bekannt als Hüttenkrankenhaus – 1875/76 die Bahnhofsbrücke – 1881 die Schule am Unteren Friedhofsweg – das Amtsgericht hinter der Marienkirche – 1885 das neue Knappschaftslazarett – 1885 die Marienkirche – 1892 der Schlachthof – 1892 das Gesellenhaus – 1894 die Falkensteinschule – 1896 das St. Josefskrankenhaus und 1897 der Scheiber Wasserturm.
Nicht alle diese Bauten sind erhalten geblieben. Viele wurden durch die Fliegerbomben des 2. Weltkrieges zerstört oder sind danach aus anderen Gründen abgerissen oder umgebaut worden. Wer aber den Blick dafür hat, der findet trotz alledem auch heute noch in der Stadt schöne erhalten gebliebene alte Häuserfassaden. Noch vor der Jahrhundertwende am 25. April 1892 gab es aber für die Neunkircher Bevölkerung und so auch für mich ein besonders herausragendes Ereignis. Kaiser Wilhelm II. war mit dem Freiherrn Karl Ferdinand von Stumm-Halberg per Bahn nach Neunkirchen gekommen.
Umjubelt von vielen mit ihrem Hut schwenken Menschen war er durch die Bahnhofstraße, und welche Ehre, auch über mich hinweg gefahren. Er war Gast bei Stumm und besichtigte das Eisenwerk und das Viktoriahospital. Das war aber nur ein Tagesereignis, schon am Tag darauf war der Alltag wieder eingekehrt, der aber weiterhin von dem fortgesetzten wirtschaftlichen Aufschwung geprägt war. Die 1821 angehauene Grube König, das expandierende Eisenwerk und der Eisenbahnanschluss hatten einen ständig wachsenden Bedarf an Arbeitskräften. Das hatte einen ständigen Zuzug von Menschen aus der näheren und weiteren Umgebung zur Folge, die natürlich auch Wohnungen brauchten. Der Wohnungsbau kannte kein Ende. Die Stadt, nein die Gemeinde Neunkirchen, wuchs und wuchs nach allen Seiten. Die Belegschaft des Eisenwerkes hatte sich z. B. von 1850 bis 1900 um rund das Neunfache auf 4204 Arbeitskräfte erhöht. Im gleichen Maße entwickelte sich auch die Einwohnerzahl Neunkirchens von 3226 auf 29187, und dieser Aufwärtstrend ging auch nach der Jahrhundertwende unvermindert weiter.
– Fortsetzung folgt –
Ende Teil 2
Werner Fried